Anregung zum Philosophieren: Schlafwandler?

 

Hannah
eigenes Foto, CC-by-SA

Im Nachgang zu unserer Diskussion über Eichmann las ich ein Buch über Hannah Arendt. Sie schreibt u.a. sehr direkt:

„Ein Leben ohne Denken ist durchaus möglich; es entwickelt dann sein eigenes Wesen nicht – es ist nicht nur sinnlos, es ist gar nicht recht lebendig. Menschen, die nicht denken, sind wie Schlafwandler.“ (Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes. Das Denken. Das Wollen. München 1998, S. 189f.)

Was meint ihr: ist ein Leben ohne Denken sinnlos? Kann jemand wie Eichmann als nicht-denkender Schlafwandler schuldig sein?

 

6 Kommentare

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Ich denke in diesem Fall ist nicht das Denken an sich gemeint, denn ohne Denken würde unser Körper wirklich nicht funktionieren, sondern eher im Sinne von „über etwas nachdenken“ bevor man handelt. Und das geht sehr gut, handeln ohne über mögliche Folgen und Konsequenzen nachzudenken.
Ich glaube, ein Leben ohne Denken ist tatsächlich sinnlos. Einfach nur einen Auftrag befolgen oder eine Aufgabe erledigen, wie Eichmann es gemacht hat ohne über sein Handeln oder den Auftrag allgemein nachzudenken, macht für mich keinen Sinn. Jeder Mensch kann denken und sollte dies meiner Meinung nach auch tun. Das rationale Denken macht uns Menschen besonders, denn kein anderes Lebewesen auf dieser Welt hat einen Verstand. Ich sehe es nicht nur als etwas besonderes, als eine „Ehre“ einen Verstand zu haben, sondern auch als Aufgabe. Im Falle Eichmanns, darüber nachzudenken, ob er selbst es vertreten kann, dass durch sein Handeln so viele Menschen unschuldig sterben.
Die Frage ist, ob man nicht nur für sein Handeln sondern auch für sein Denken als schuldig erklärt werden kann oder sogar für sein nicht denken. Nicht handeln kann im Falle von unterlassener Hilfeleistung strafbar sein. Aber wie sieht es mit nicht denken aus?
Die Schuldfrage finde ich generell schwierig. Schuld an sich lässt sich in drei Kategorien einteilen: juristische Schuld bei Verstoß gegen ein aufgestelltes Gesetz einer Gesellschaft, psychische Schuld bei eigenen Schuldgefühlen und moralische Schuld bei Verstoß gegen ein moralisches Gesetz wie z.B.: Kants kategorischer Imperativ oder die zehn Gebote. Außerdem unterscheidet man zwischen schuld sein und Schuld haben. Schuld haben beschreibt, dass eine Person eine Teilschuld an etwas, zum Beispiel an einem Verbrechen hat. Schuld sein dagegen bedeutet die komplette Schuld für ein Vergehen zu tragen. Eichmann ist aus meiner Sicht nicht schuldig. Er trägt aber eine Teilschuld, da er die Deportation der Juden bewilligt hat und sich nicht geweigert hat dies zu unterstützen. Sicher hätte sich eine andere Person gefunden, die dies veranlasst hätte, wenn er sich geweigert hätte. Doch er selbst hätte sich nichts zuschulden kommen lassen. Demnach stimme ich Hannah Arendt und ihm selbst zu, wenn sie behaupten ihn treffe juristisch keine Schuld, da er ja nur einen Befehl von oben befolgt hat ohne darüber nachzudenken.
Aber ich finde, dass er moralische Schuld trägt, da er veranlasst hat, dass so viele Juden sterben mussten, einfach nur weil sie Juden waren und somit das Recht auf Leben, das jedem Einzelnen zusteht, verletzt hat.
Ob er psychisch schuldig ist, kann nur er selbst sagen, da nur er allein weiß, ob ihn Schuldgefühle plagen oder nicht.
Aber rein juristisch kann ein „nichtdenkender Schlafwandler“ meiner Meinung nach nicht schuld sein, auch wenn sehr viele Menschen dies als ungerecht empfinden und Hannah Arendt viel Kritik und auch Hassbriefe für ihre Feststellung bekommen hat.

Ein Leben ohne Denken ist meiner Meinung nach sinnlos, weil man seinem Leben selbst einen Sinn geben muss. Ich denke, dass das einzelne Leben einen Sinn hat, den aber jeder für sich selbst und für sein eigenes Leben finden muss. Doch wenn man nicht nachdenkt über sein Leben und was man gerade tut, kann man „den Sinn des Lebens“ auch nicht finden und das eigene Leben ist sinnlos. Man macht einfach nur das, was andere einem sagen oder befehlen wie im Falle Eichmanns ohne sein Handeln kritisch zu hinterfragen, man ist nicht mehr ein selbstständiger Mensch sondern ein Roboter. Dieses Leben als „Schlafwandler“ kann keinen Sinn haben, weder für einen selbst noch für die Gesellschaft. Denn gesellschaftlicher Fortschritt ist nur möglich, wenn man denkt, also seinen Verstand benutzt. Sein Handeln zu reflektieren und kritisch zu hinterfragen ist meiner Meinung nach essentiell, das heißt, es ist wichtig, darüber nachzudenken, ob es gut ist was man tun will, gerade tut oder ob das gut war, was man getan hat. Nur so kann man sein Leben so gestalten, wie man es selbst für richtig hält und den Sinn seines Lebens finden. Meiner Meinung nach ist es also wichtig, seinen Verstand einzusetzen, dabei bin ich aber überzeugt, dass Tiere einen Verstand besitzen. Tiere können sehr wohl Urteile bilden, denn sie können Sachverhalte auch korrekt einordnen. So gibt es zum Beispiel Kraken, die die Scheibe ihres Aquariums öffnen können.

Nicht- Denken befreit meiner Meinung nach nicht von (moralischer) Schuld. Wir sind für alles verantwortlich was wir tun. Wenn man nicht darüber nachdenkt, welche Folgen das eigene Handeln haben kann, hat man trotzdem Schuld und Verantwortung. Meiner Meinung nach kommt es auf die Folgen einer Handlung an, egal ob jemand über diese Folgen und über die Handlung selbst nachgedacht hat oder nicht. Wenn jemand wie Eichmann dazu beiträgt, dass unschuldige Menschen sterben, hat er Schuld. Eichmann hat ganz klar gegen Normen und Werte unserer Gesellschaft verstoßen, zum Beispiel gegen das Recht auf Leben. Natürlich hätte man ihn auch ersetzen können, durch einen anderen „Roboter“, denn Eichmann war nur Mittel zum Zweck und ein kleiner Teil des Systems, aber diese Tatsache befreit ihn nicht von seiner Schuld. Er hatte die Wahlfreiheit seine Befehle zu verweigern, dann wäre er vielleicht auch erschossen worden oder verhaftet, jedoch ist er trotzdem verantwortlich für das, was er getan hat. Und das Nicht-Nachdenken ist meiner Meinung nach keine Legitimation für sein Handeln. Zudem ist es auch schwierig herauszufinden, ob jemand nachgedacht hat als er eine Straftat beging oder nicht.

Rein juristisch gesehen ist das Problem bei Eichmann meiner Meinung nach nicht, dass man ihn nicht verurteilen konnte wegen seinem Nicht-Nachdenken sondern aufgrund der damaligen Gesetze. Als Eichmann die Deportation der Juden unterstützte, war das damals juristisch gesehen erlaubt. Juristisch gesehen kann Nicht-Nachdenken nicht von Schuld befreien. Die Motive einer Straftat können das Urteil mildern aber einen trotzdem nicht unschuldig machen, denn man selbst und kein anderer hat die Tat begangen.

Ich denke, wenn man „nicht denkt“ (vorrausgesetzt das wäre möglich) hat man für sich selbst keinen Zweck. Man ist einfach nur da, ohne Bewusstsein, das durchs denken geformt wird, und ohne Absicht, irgendetwas zu tun.
Wenn man annimmt, man wäre der/ die einzige Nichtdenker/in, kann man in einem Umfeld voll denkender trotzdem einen Sinn/ Einfluss haben, indem die Denkenden einen „sehen“ und „wahrnehmen“, mehr als die nichdenkende Person das jemals könnte. Dadurch würde diese, unbewusst natürlich einen Zweck für die Gesellschaft haben.
Wenn alle Menschen Nichtdenker wären, würden wir aneinander vorbei existieren und aussterben. :))

Ich stimme „dietugend“ zu, dass man seinem Leben selbst einen Sinn geben muss, was durch das Denken geschieht. Daher ist ein Leben ohne Gedanken durchaus sinnlos.
Man könnte natürlich meinen, dass einem Mensch, der nicht nachdenkt, bei einer unmoralischen Tat keine Schuld zugesprochen werden kann. Jedoch besteht die Möglichkeit des Denkens und somit das Absehen von möglichen Konsequenzen, wodurch man sehr wohl einen solchen Mensch für schuldig erklären kann. Man ist selbst Schuld, wenn man die Chance zu denken nicht nutzt und sich somit keinen Sinn im Leben erbringt. Ohne das Denken kann man sich keine eigene Meinung bilden und fungiert so als Teil der Masse, was einen zu nichts besonderem macht. Durch bewusste Handlungen wird man einzigartig und nur so kommt einem eine gewisse Bedeutung zu.
Ich denke das „nicht-nachdenken“ von Eichmann und auch allgemein ist keine wirkliche Rechtfertigung, wodurch auch keine Schuld von einem abgeht. Dies ist kann jedoch von Fall zu Fall unterschiedlich sein, da sich die Schuld aus mehreren Aspekten zusammensetzt, wie fredlchen bereits erwähnt hat. Allgemein denke ich also, dass „Nicht-Denken“ zwar keine Entschuldigung für eine Handlung ist, die bestraft werden sollte, aber auch kein Grund ist jemanden schuldig zu sprechen, was bei unterlassener Hilfeleistung (s. fredlchen), also bei einer „Nicht-Handlung“ der Fall sein kann.

Erst mal müsste man hier klären, um was für ein Leben es sich hier handelt:

Menschen sind in der Lage, reflexiv über sich selbst und ihren Platz in der Welt nachzudenken.
Die meisten Tiere (mit wenigen Ausnahmen), nicht.

Auch sind manche Menschen aufgrund ihrer persönlichen Entwicklung und Bildung (nicht Ausbildung) eher dazu befähigt, bzw haben einen Hang dazu, über Dinge tiefgründig nachzudenken, andere Menschen weniger. Wenn ich nun aber diese Menschen, die wenig oder nicht nachdenken, als „Schlafwandler“ etikettiere, und deren Leben dann für sinnlos erkläre, grenzt dies meiner Meinung nach an Abwertung und Intoleranz diesen Menschen gegenüber.

Was Eichmann angeht, denke ich aber, er ist definitiv schuldig, da eher gesund und geistig dazu in der Lage hätte sein können bzw. müssen, über sich und sein Verhalten und dessen Auswirkungen zu reflektieren.

Wenn ich also nicht oder wenig nachdenke, und das nur meine eigene Lebenswandlung, -intensität etc. betrifft, ist das zwar schade, da die Kapazitäten nicht voll ausgenutzt werden, aber nicht weiter schlimm.
Wenn meinen Handlungen aber eine Verantwortung gegenüber anderen Leben obliegt (und das ist oft bzw meistens der Fall), dann ist ein nicht-nachdenken verantwortungslos und inakzeptabel, wie eben in Eichmanns Fall.

Viele Grüße,
Theano 🙂

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