Die Relativität des Todes

„Der Tod eines Mannes ist eine Tragödie, aber der Tod von Millionen nur eine Statistik.“
Josef Stalin

http://zitate.net/zitate/suche.html?query=stalin

Sieht man sich das Leben und Tun Stalins an, so wird schnell klar, dass er mit diesem Satz vermutlich Folgendes sagen wollte: „Wenn ich sterbe, ist das wirklich schlimm, aber wenn Millionen von Menschen durch mich sterben, ist das unbedeutend.“

Aber nur weil das von Stalin kommt, muss der Satz nicht weniger wahr sein!
Ich muss nur auf meine Reaktionen achten, um festzustellen, dass Stalin in gewisser Weise recht hatte: Wenn jemand aus meiner Familie oder aus meinem Freundeskreis sterben würde, wäre das zunächst sehr schlimm für mich, es wäre eine Tragödie. Aber wenn ich in den Nachrichten höre, dass schon wieder irgendwo soundso viel Menschen bei einem Bombenattentat starben, oder dass 2004 bei dem Erdbeben und dem Tsunami 230.000 Menschen umkamen, dann ist das für mich oberflächlich betrachtet nur eine Statistik, es sind nur Zahlen, die mich selbst nicht betreffen. Ich sehe nicht das Leid und die Menschen, die hinter diesen Zahlen stehen. Ich habe vielleicht Mitleid, bin ein bisschen geschockt, aber es trifft mich nicht mit derselben Wucht, als wenn ein mir nahestehender Mensch sterben würde.
Unter diesen Umständen ist der Tod eines Menschen (subjektiv gesehen) schlimmer als der Tod vieler Menschen.
Auch in der Öffentlichkeit und in den Medien macht sich das bemerkbar. Wenn eine berühmte Persönlichkeit stirbt, z.B. Michael Jackson, so bekommt diese Nachricht fast genauso viel Aufmerksamkeit wie eine Naturkatastrophe, bei der Hunderttausende umkommen.
Angemessen ist das meiner Meinung nach nicht, aber es ist verständlich. Jeder kann mit einem bekannten Idol mehr anfangen als mit anonymen Opferzahlen.

Objektiv betrachtet hat Stalin natürlich nicht Recht. Dass unter Hitler etwa 6 Millionen Juden umkamen, ist schrecklich, auch wenn es auf den ersten Blick „nur“ eine Zahl ist, mit der die meisten von uns keine persönliche Verbindung haben. Viele Menschen weinen, wenn ein Nahestehender stirbt, aber ich glaube, dass nur wenige um der 6 Millionen willen eine Träne vergießen. Trotzdem ist solch ein Massenmord eine riesige Tragödie, und nach dem Prinzip des Utilitarismus wäre es für die Allgemeinheit nützlicher gewesen, wenn nur einer gestorben wäre und dafür 6 Millionen überlebt hätten.
So gesehen ist die Aussage Stalins unhaltbar – es ist eben nicht gleichgültig und unbedeutend, wenn so viele Menschen sterben, auch wenn es sich für den Einzelnen nicht so „anfühlt“, und es zeugt von einem unglaublichen Egoismus, wenn man seinen eigenen Tod als Tragödie bezeichnet und dem Tod Millionen anderer gegenüber gleichgültig ist.

Aus dem Ganzen könnte man schlussfolgern, dass der Tod etwas Relatives ist, und dass das subjektive Empfinden und die objektive Beurteilung weit auseinandergehen können.
Wenn man das Subjektive, Persönliche dem Objektiven, Allgemeinen überordnet, passiert meiner Meinung nach Folgendes: Man verliert die Verhältnismäßigkeit und dreht sich nur noch um sich und die eigenen Gefühle und Wünsche, dabei vergisst man jedoch die anderen Menschen. Das muss nicht bei jedem katastrophale Auswirkungen haben, aber im Falle Stalins ging es so weit, dass er sich für die wichtigste Person hielt und kein Problem damit hatte, Millionen von Menschen umbringen zu lassen.

Was hältst du von Stalins Aussage?

5 Kommentare

Kommentieren →

Stalins Aussage klingt für mich in gewissem Maße ziemlich unglaublich. Sein eigenes Leben über das von mehreren Millionen zu stellen zeigt entweder eine extreme Selbstüberzeugung oder keinen Funken Mitleid mit den Angehörigen der Verstorbenen.
Dem Aspekt einer berühmten Person, die verstorben ist, stimme ich zu! Meiner Meinung nach ist der Tod eines Promis nicht ,,tragischer“ als der Tod eines jeden einzelnen der 6 Millionen Juden oder 230.000 Opfer des Tsunamis von 2004. Nur weil beim Tod eines Stars mehr Menschen davon erfahren und auch wissen um wen es sich handelt heißt es nicht, dass dieser ein bedeutenderer Bestandteil der Gesellschaft war. Eine Tragödie ist dies lediglich für die Angehörigen, die diesen ,,Star“ lediglich als Menschen während seines gesamten Lebens kannten und nicht als diese berühmte Person.
Aber auch jeder einzelne Jude oder Opfer des Tsunamis hatte Angehörige, die in gleichem Ausmaß trauern wie die Angehörigen der berühmten Person.
Die Fans, die um den Star trauern kann man in so einer Situation nicht in gleichem Maß dazu rechnen, denn sie kannten lediglich die Fassade der Person und nicht die wahre Person, die dahinter steckt- so ist dies zumindest meine Auffassung.
Ein Zitat von Karl Lagerfeld (auch wenn dies nichts mit dem Thema Tod zu tun hat) spiegelt meine Ansichten wider: ,,Heidi Klum? Kenn ich nicht!“
Auch wenn diese Aussage nach einer -mir nicht schlüssigen- Auseinandersetzung entstanden ist, äußert Lagerfeld das, was ich versucht habe zu erklären. Er mag vielleicht die öffentliche Fassade dieser Person zu kennen, das wahre Gesicht allerdings kennt weder er noch der Rest der Öffentlichkeit.
Aus diesem Grund ist mir Stalins Aussage auch überhaupt nicht recht. Nur weil dieser Bekanntheit genießt, heißt es nicht, dass er deswegen auch ein Mensch von höherer Wichtigkeit ist. Jeder Mensch, der verstirbt hinterlässt ein gleich großes Loch in der Gesellschaft und vor allem im Kreise seiner Angehörigen. Egal zu welchem Zeitpunkt oder aus welchem Grund. Denn verstorben sind alle Menschen gleich- sie fehlen einfach!

Meiner Meinung nach kommt es immer darauf an, wie ich zu dieser/den Person/Personen stehe und ob ich mit ihr enger verbunden war. Es ist doch klar, dass der Tod eines Bekannten oder Freundes mich mehr betrifft, da ich mit dieser Person schon verschiedene Erlebnisse hatte und so eine ganz andere „Beziehung“ zu ihr aufbauen konnte. Daher kann und darf man eigentlich soetwas gar nicht vergleichen, denn es ist klar dass mich ein Tod eines Berühmten oder von Menschen die ich nicht persönlich kannte nicht sonderlich interessiert. Würde ich um diese Personen genauso trauern wie bei Freunden oder Bekannten, so würde ich dies als Beleidigung für die verstorbenen Freunde/Bekannte sehen.

Deine Interpretation von Stalins Zitat stimm ich weitgehend zu. Einzig die Interpretation, dass Stalin dieses Zitat einzig und alleine auf sich bezogen hat kann ich nicht zustimmen. Es wäre eine Möglichkeit dieses Zitat so zu interpretieren, aber da wir selbst Stalin nicht fragen können, würde ich das Zitat so nehmen, wie gesagt wurde. Dennoch bin ich auch deiner Meinung, dass die Trauer um den Tod eines Menschen alleine von der Beziehung zueinander abhängt. Zu diesem Punkt hast du es wirklich sehr genau erläutert. Eine andere Interpretation wäre es, wenn Stalin dieses Zitat dazu benutze um seine Taten im zweiten Weltkrieg zu rechtfertigen, da er einer der schlimmsten Massenmörder seiner Zeit war. Dadurch würden die Menschen den Tod eines Soldaten als Tragödie ansehen und das Massensterben der Gegner als völlig belanglos. Dadurch würde es zu einer vollkommenen Unterstützung der Bevölkerung im Krieg kommen.

Natürlich wird der Tod eines einzelnen Menschen aus jedem Blickpunkt anders gesehen.
Der Tod kann meiner Meinung nach nicht Subjektiv betrachtet werden, wenn man die verstorbene Person gekannt hat. Denn dabei werden logischerweise hauptsächlich Emotionen wahrgenommen.
Dazu würde ich (,wenn auch nur ein bisschen), Prominente dazu zählen. Denn durch Fernsehen oder Live Auftritte entwickelt man auch für diese Personen, obwohl man sie persöhnlich nicht kennt, Sympathien und Empathien für die jeweiligen Charaktere.

Selbst bei fremden Personen fällt das subjektive Betrachten sehr schwer, da es auch immer auf die Umstände des Unglücks ankommt. 10 gefallene Soldaten im Krieg schockieren die Menschheit weniger, als 5 ermordete Pfadpfinder im Wald, da natürlich das man mit dem einen mehr und mit dem anderen weniger rechnet.

Meiner Meinung nach ist es sehr schwierig über das Maß einer Tragödie zu urteilen. Trotzdem hat mich dein Beitrag sehr zum Nachdenken angeregt.

Das Zitat ist nicht von Stalin, es stammt aus einem Buch, dass während der kurzen De-Stalinisierungsepoche nach dessen Tod veröffentlicht wurde. Es ist wahrscheinlich von Tucholsky, vllt. auch von Remarque.

Das Stalin ein verrückter Psychopath war, steht außer Frage, auch dass er seine Ziele allen anderen überordnete (und bspw. seine eigene Familie töten ließ und seinen Sohn nicht aus dt. Kriegsgefangenschaft auslöste). Das Zitat hat er dennoch so nie geäußert.

Schreibe einen Kommentar