Wie sehr bestimmt unsere Nationalität unsere Identität ?

Langsam nähert sich die Schulzeit ihrem Ende zu und desto näher dieser Moment kommt, desto größer wird die Frage :“Was dann ?“

Neulich sollten wir uns in unserem Spanisch-Kurs auf die Frage „Wollt ihr aus eurem Leben später ausbrechen und wenn ja wie ?“ ( eine Referenz auf die „movida madrileña“ in den 80-ern in Spaniern https://de.wikipedia.org/wiki/Movida_madrile%C3%B1a ) in drei Bereiche positionieren :

Ja : also man will raus aus Deutschland oder aus seinem „normalem“ Leben, was auch einfach eine groß Stadt sein kann.

Eventuell mal.

Nein : also ich bin glücklich mit meinem Leben hier auf dem Lande und kann mir nichts besseres vorstellen.

Das Ergebnis war recht ausgeglichen und ich positionierte mich zu den „Ja“ Menschen, denn dieses Thema ist eines, welches ich seit Jahren schon prozessiert habe. Mein persönliches Problem ist, dass ich von Kind an in zwei verschiedenen Kulturen aufwuchs und dementsprechend auch zwei verschiedene Staatsbürgerschaften habe. Geboren wurde ich zwar in Deutschland aber meine Eltern stammen aus Russland und um die Kultur beizubehalten verbrachte ich als Kind oft Zeit dort , wuchs bilingual auf (wobei ich meine ersten Lebensjahre ausschließlich russisch sprach) und lernte die Traditionen beider Länder kennen.

Nun kommen wir zum Problem. Jedes mal als wir in Russland waren, wurde ich als „der Deutsche“ betitelt, was mich immer sehr verwirrt und entrüstet hat . Doch als wir in Deutschland waren war ich plötzlich „der Russe“ und auch dies hatte mich schon immer verwirrt. Es entstand eine große Diskrepanz in mir selber, weil man nicht mehr einordnen konnte zu was man jetzt gehört . Selbst heute ist es so, dass ich mich nicht immer angesprochen fühle bei Sätzen wie :“ Du als Deutscher/Russe“ oder „Warum hast du als Deutscher/Russe (…)“

Dies alles führte dazu, dass man sich immer heimatlos fühlt und so, als ob man nie angekommen sei bzw. als wäre man nie akzeptiert, da wo man eigentlich zu Hause ist. Das erste Mal,dass ich mich so fühlte als sei ich zu Hause war, als ich in Spanien aufhielt. Plötzlich ging es nicht mehr darum was meine Wurzeln sind und ich fühlte mich so aufgenommen wie ich bin. ( Bis auf in einigen Momenten, in denen ich einfach nur als „der Deutsche“ vorgestellt wurde.) Es war alles so offen und ich fühlte mich nicht mehr auf meine Nationalität reduziert. Man sagte mir sogar ich sei ein Spanier, gefangen in einem deutschem Körper. ( Was mich jedoch noch mehr unter Druck setzte jemandem oder etwas zu entsprechen.) In einigen Momenten hatte ich sogar das Gefühl „den Deutschen“, den ich nie in mir sah, zu spüren, wenn es z.B. um Pünktlichkeit ging. Aber da orientierte ich mich natürlich erneut nur an Stereotypen.

Ich hatte schon immer das Gefühl, dass Deutschland nicht das Land sein wird, wo ich für immer bleiben will. Versteht mich nicht falsch. Deutschland ist ein schönes Land und mit all den Fehlern und Problemen die es hat, ist es für mich trotzdem das sicherste Land. Manchmal sind mir die Menschen hier viel zu kalt und stechen mit ihren Blicken direkt in einen rein, jedoch ist mein Hauptproblem das diese Identitäts-Krise mich hier einfach innerlich zu einem Gefangenen macht und ich mich nie frei fühlen kann/konnte. Das ist tatsächlich ein Problem, welches einige bilingual aufgewachsene Kinder haben. Ein rastloses inneres Dasein. Weder der Eine, noch der Andere.

Doch um zu meiner Hauptfrage zu kommen:

Über all dies habe ich dann auch mit meinem Austauschpartner aus Spanien hier in Deutschland geredet und das war ein etwas augenöffnendes Gespräch für uns beide. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es unglaublich banal ist, wie die Menschen stehts versuchen sich einer Nationalität zuordnen zu müssen, nur um zu „wissen“ wer man sein „sollte“. Er selber, der nicht bilingual aufwuchs, hatte es auch satt ständig von seinem eigenem Land in die selbe Box gepackt zu werden und hatte in Deutschland das Gefühl endlich mal da raus gekommen zu sein.

„Sollte“ weil, sobald man anfängt sich auf eine Nationalität zu beschränken, packt man sich selber in eine Schublade und setzt sich unter Druck. „Ich als ein Deutscher kann doch niemals“ … „Wir Deutschen würden uns niemals…“ Da landen wir wieder bei unseren Stereotypen und Vorurteilen.

Versteht ihr was ich meine ? Ich bin der Meinung, dass die Menschheit endlich mal verstehen soll, dass wir alle eine Nationalität haben : „Mensch“ . Ich denke, wenn das alle begreifen würden, wären einige Umstände viel einfacher gewesen. Ich sage nicht, dass wir alle Traditionen und Kulturen über den Haufen schmeißen sollen , ganz im Gegenteil . Aber wir sollen anfangen aufzuhören uns selber zu limitieren , festzusetzen und die Grenzen zu schließen. Die Welt gibt so viel mehr her als unsere eigene Schublade und ich denke, es wäre schade , wenn wir das verpassen.

Wie sehr bestimmt unsere Nationalität unsere Identität ? – Sehr aber ich denke wir sind im Stande es zu beeinflussen, wenn wir es verstehen. Ich habe lange gebraucht, dass Gefühl zu verstehen was mich innerlich zerreißt wenn es um das Thema ging und noch länger hab ich gebraucht zu verstehen, wie dumm es ist, sich eine Nationalität zu suchen um zu „wissen“ wo man hingehört. Es gibt weitaus wichtigere Sachen die unsere Identität prägen dürfen und darauf will ich mich konzentrieren. Natürlich habe ich Prägungen aus beiden Richtungen und die machen mich zu dem wer ich bin und das macht mich teils stolz und teils nicht aber unabhängig davon haben sie mich viel zu lange eingeschränkt frei zu sein.

Um nun noch zu meiner Einleitung zurück zu finden: Ja, ich will aus meinem Leben ausbrechen und was neues probieren und wenn du mit deinem glücklich bist, dann fühle dich nicht unter Druck gesetzt, den selben Gedanken zu verfolgen. Ich habe z.B. für mich gemerkt, dass die Mentalität der Südländer mich anspricht und das dies der Ort ist wo ich mich frei und endlich angekommen fühlen will , ganz unabhängig davon, welche Nationalität ich habe. ( Natürlich können wir auch hier nicht alle Menschen unter einen Kamm scheren)

Was denkt ihr ? Macht das Sinn ? Sollte unsere Nationalität einen großen Einfluss auf uns haben? Zu viel Drama um nichts ? – Freue mich von jemandem zu hören und darüber zu diskutieren !

L.G. Albinos.

3 Kommentare

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Hallöchen 🙂

Also ich persönlich kenne das nicht so explizit, habe für meinen Teil aber auch nur eine Staatsangehörigkeit, wurde auch hier geboren und bin (leider) nicht bilingual. Aber ich denke, Albinos, was du da ansprichst geht vielen mit zwei „Nationalitäten“ so; dass man immer dem Land, in dem man gerade ist als der andere angesehen wird. So etwas wird ja auch nicht bewusst von den Menschen um einen herum gemacht, aber ich kann verstehen dass einen das persönlich irritiert. Mir selbst war das „Deutsch sein“ nie wirklich bewusst, es war auch nie wichtig, da in meinem Umfeld (auch in der Schule) kein großer Wert darauf gelegt wird. Bei einem Aufenthalt in England habe ich dann aber auch bemerkt dass man schon von der Nationalität der anderen irgendetwas ableitet, sei es Verhalten, politische Einstellungen oder was auch immer, was stimmen KANN aber oft NICHT SO IST. Deshalb denke ich, dass unsere Nationalität keinen bzw. sehr geringen Einfluss auf uns persönlich haben sollte.

Hey Theano.

Ich hatte erst letztens eine spannende Diskussion gehabt über dieses Thema und auch der Frage : sollten Doppelte Staatsbürgerschaft überhaupt weiterhin erlaubt sein um z.B. solche Verwirrungen vorzubeugen?
Mein Diskussionspartner war sehr genervt darüber, dass einige Menschen herkommen und ihre Identität so sehr in ihrem Ursprungsland sehen, dass sie z.B. nicht mal bereit sind, die neue Sprache wirklich zu erlernen.
Da muss ich auch leider zustimmen, da ich oft Fälle kenne, wo Menschen mit Migrationshintergrund die neue Sprache unglaublich schlecht reden obwohl sie schon mehr als 10 Jahre hier leben. Natürlich ist es dann schwer diese Menschen zu integrieren, weil die Sprache einfach der Kern dafür ist. Stattdessen suchen solche Menschen „Gleichgesinnte“, weil es A) mehr Sicherheit gibt B)leichter ist und C) man seine Kultur und Identität bewahren will.
Vielen sogenannten „third culture children “ , wich ich es einer bin, wurde in der Kindheit nur erlaubt zu Hause die Muttersprache zu reden um die Sprache möglichst gut zu vertiefen und die Kultur zu bewahren. Damit ist es für die Kinder oft automatisch schwerer sich in ein neues Land zu integrieren selbst wenn sie dort geboren werden, weil sie die Sprache nicht bzw. kaum kennen.
Daher möchte ich die Kernfrage erweitern auf : wie sehr bestimmte die Nationalität und die verbundene Auswirkung auf die Identität meiner Eltern meine eigene Identität?
Du schreibt, dass es eigentlich keinen Einfluss haben sollte aber ich glaube dies ist eigentlich gar unmöglich, weil wir Menschen immer von unserem Umfeld beeinflusst werden.
Ich persönlich finde es schade, dass ich oft aufgrund eines Papieres anders bewerte werde.
Wenn ich sage, ich bin Halbrusse, antworten viele : wow, hätte ich nicht gedacht, weil du redest nicht so (ect.) . Also erneut werden Vorurteile herausgebracht.
Persönlich bräuchte ich die doppelte Staatsbürgerschaft nicht, weil ich nicht viel mit Russland zu tun habe(n will). Ich mach dass nur, weil meine Eltern sich das wünschen.
Zudem kann ich mich in Vergleich zu meinen Schwestern eher wenig als Russe identifizieren. Meine Schwestern sind #proudRussianGirl, hören nur russische Musik und haben einen Akzent, den ich mir antrainiert habe. Also sieht man, dass sich Kinder die so bipolar aufwachen auch durchaus verschieden entwickeln und der Gedanke des nationalen Dazugehörens viel mitreinspielt. Meine Schwester z.B. wissen wahrscheinlich weder politische noch historisch oder sonst was über Russland aber fühlen sich wie welche. Wohingegen ich mich weigere dies für mich so großflächig anzunehmen.

Um zum Punkt zu kommen, denke ich ist es sehr wertvoll, wenn Menschen mit verschiedenen Kulturen und Sprachen zusammenarbeiten, weil dies die Grenzen des einzelnen erheitern kann. Es ist jedoch sehr wichtig, dass die Integration auch seitens der Migranten kommt ( angefangen bei der Sprache ) und das man eine gute Waage findet zwischen wie sehr bewahre ich meine Kultur und wie sehr integriere ich mich in das neue.
Wobei dies immer ein Kampf sein wird, wenn man versucht das Gleichgewicht zu halten.

Liebe Grüße, Albinos

Hallo Albinos,
Ich kann dich vollkommen verstehen, denn mir geht es genauso. Da ich in Deutschland wohne ( komme aber nicht aus Deutschland ) ist es natürlich logisch, dass ich mich an die Gesetze, Kultur, usw. anpasse. Jedoch als ich meine Bekannte besucht habe wurde ich von gleichaltrigen als “ Deutsche“ bezeichnet. Ich habe anfangs nicht verstanden, da sie selber sich nicht anders verhielten und dann machte es „klick“. Sie haben mich nicht nach meinen Verhalten so verurteilt, sondern weil ich mehr über Deutschland selber wusste als sie selbst, weil ich besser integriert war. Ich glaube sogar dass sie neidisch waren und somit klar machen wollten, dass ich nicht eine von ihnen wäre. Natürlich finde ich es traurig dass Menschen so denken, aber ich lassen mir davon nicht die Laune verderben und vielleicht solltest du es auch nicht (ich weiß leichter gesagt als getan, aber versuch es und vielleicht wird es einfacher damit umzugehen)

Liebe Grüße 🙂

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