„Müde macht uns die Arbeit, die wir liegenlassen, nicht die, die wir tun.“
(Marie von Ebner-Eschenbach)

Ich konnte entdecken, wie wahr diese Aussage ist. Zunächst wirkt es paradox: Normalerweise ist man doch erschöpft, wenn man viel arbeitet, noch dazu körperlich arbeitet. Aber durch das Nichtstun müde werden? Wie geht das? Ist Entspannen nicht eine schöne Beschäftigung? Eigentlich schon. Aber hier geht es um ein besonderes Nichtstun: Nicht etwa um das Ausruhen nach getaner Arbeit, oder das geruhsame Dösen an einem Ferientag, sondern das Nichtstun, wenn man eigentlich viel arbeiten müsste. Außerdem ist die Müdigkeit hier weniger auf den Körper, als vielmehr auf das seelische Befinden bezogen.

Ich für meinen Teil erlebe das oft: In meinem Hausaufgabenheft stehen so viele Dinge, die ich erledigen müsste, Klausuren, die vorbereitet werden müssten, und auch im Hinterkopf gibt es noch eine Liste, die sich mehr um meine Familie und meine Freunde dreht und um Beziehungen, die gepflegt werden müssten. Von allen Seiten werden Erwartungen gestellt. Ich sehe all das vor mir, und trotzdem fange ich nicht an zu arbeiten. Ich bin irgendwie blockiert. Gleichzeitig stehe ich unter Druck, weil die Zeit vergeht. Und diese innere Blockade und das schlechte Gewissen zermürben mich, machen mich müde.
Oft erlebe ich, wenn ich dann doch noch anfange, dass die erledigte Arbeit mich richtig glücklich macht, und ich Spaß daran habe, die Liste abzuarbeiten. Aber der erste Schritt der Überwindung fällt sehr schwer.
Am Schlimmsten ist es sogar, wenn ich keinen Termindruck habe – dann schiebe ich die Arbeit vor mir her und werde sie nie los, sie schwebt immer über mir wie ein Schatten. Ich kann keinen Frieden mehr haben, solange sie mir immer wieder in den Sinn kommt und mich geradezu quält, weil ich Angst vor ihr habe, oder weil ich sie in meiner Faulheit für sehr aufwendig oder unangenehm halte.

Seelisch müde machen auch die Pflichten, die unser Gewissen uns vorschreibt, aber die wir trotzdem liegenlassen, ignorieren und einfach weitergehen. Man hat die Gelegenheit nicht genutzt, und nun ist sie vorbei, und man fühlt sich schuldig. Innere Vorwürfe rauben die Ruhe. Es war nicht richtig, das Notwendige zu unterlassen, und doch hat man es getan. Wie viel hätte man sich erspart, wenn man einfach angepackt hätte! Es wäre vielleicht anstrengend und schwierig gewesen, aber dafür könnte man noch ruhig schlafen, das Gewissen wäre rein.
So eine unerfüllte Pflicht kann z.B. unterlassene Hilfeleistung bei einem Autounfall sein, an dem man einfach vorbeifährt, oder wenn man einem Mitschüler nicht hilft, von dem man weiß, dass er große Probleme hat, und eines Tages erfährt man, dass er Selbstmord gemacht hat.
Manche Menschen schleppen solche Erlebnisse ihr Leben lang mit sich herum und können sich nicht vergeben. So etwas ist nie wieder gutzumachen! Wäre man nur vorher schon so klug gewesen, und hätte sich nicht gedrückt.

Insofern ist die Arbeit, die man liegen lässt, viel belastender und zermürbender als die Arbeit, die man angeht und erledigt. Bei der einen wird man seelisch, bei der anderen körperlich müde – und seelische Müdigkeit ist oft schwerwiegender und lässt sich nicht so leicht beheben, wie körperliche Erschöpfung.

Hat dich das Nichtstun schon mal erschöpft?