Notlügen- per se ungerechtfertigt?

‘If lying was a crime, we’d all be in jail.’ (Zitat 1) – Mit dieser Aussage hat bereits die Protagonistin Emily Fields in der Erfolgsserie Pretty Little Liars auf das umstrittene Problem und die weitaus diskutierte moralische Vertretbarkeit von (Not-)Lügen aufmerksam gemacht. Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat sich gezeigt, dass Lügen eine Methode ist, andere zu manipulieren und sich selbst, ohne dafür kämpfen zu müssen, Vorteile zu schaffen, weshalb es Teil der Erziehung ist Kleinkindern beizubringen immer die Wahrheit zu sagen und ehrlich zu sein. Doch inwieweit ist zumindest eine Notlüge tatsächlich gerechtfertigt?

Hierzu äußern sich die verschiedensten Philosophen. Vorerst ist es aber unerlässlich einmal festzuhalten, wie man Lügen überhaupt eingrenzt: Eine Aussage sei, laut der Meinung vieler Wissenschaftler dann eine Lüge, wenn sie zum Zeitpunkt der Äußerung bereits falsch sei und der oder die Sprechende davon durchaus Kenntnis habe. Juristen beziehen in ihre Definition der Lüge mit ein, dass sie eine vorsätzliche, unwahre Aussage sei, die einem anderen schadet, was wiederum impliziert, dass eine Lüge, die anderen oder sich selbst nützt, keine Lüge wäre.

Dies steht aber schon völlig konträr zu Immanuel Kant. Dieser behauptet: „Die Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf Wahrheit hat.“ (Zitat 2) Den Ausdruck „Recht auf Wahrheit“ sieht er aber als unsinnig an und meint damit das Recht, beziehungsweise die Pflicht der Wahrhaftigkeit, also eine kognitive innere Haltung, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet. Er sieht also die Unwahrhaftigkeit als Verletzung der Pflicht gegen sich selbst und laut ihm sei Wahrhaftigkeit eine unbedingte Pflicht. Jede einzelne Lüge, die das Individuum, so Kant, erbringt, bewirkt, dass dessen weiteren Aussagen generell nicht glaubwürdig sind, also ganz nach dem Sprichwort „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, selbst wenn er dann die Wahrheit spricht.“ Für ihn ist es völlig bedeutungslos, wie positiv die individuellen Absichten zu lügen auch sein mögen, denn laut ihm ist Lügen ein Unrecht, dass der Menschheit zugefügt wird. All das drückt jedoch bereits sein formulierter kategorischer Imperativ aus, denn wenn man den subjektiven Handlungsgrundsatz zu Lügen versucht zu verallgemeinern und zu einem objektiv gültigen Handlungsgesetz zu formulieren, also „Man darf lügen.“, merkt man, dass man mit dieser Argumentationsweise Lügen als allgemeinen Handlungsgrundsatz weder widerspruchsfrei denken, noch wollen kann, was demnach unmoralisch ist.

Völlig konträr zu dieser Meinung sieht sich der Philologe und Philosoph Friedrich Nietzsche eher auf der positiveren Seite des Lügens und sagt hierzu: „Natürlich. Lügen sind nicht schön. Aber sie sind menschlich! Wir selber lügen, andere lügen. Also, finden wir uns damit ab.“ (Zitat 3)

Im Vergleich hierzu stellt die Philosophin Bettina Stangneth die These „Die Lüge als Prinzip ist per se unmoralisch“ (Zitat 4) auf. Laut ihr würde man dem Gegenüber durch Lügen die Möglichkeit nehmen, sich in der Welt sicher zu orientieren. Im Gegensatz zu diesem resultierten verletzten Vertrauen und der verletzten Orientierung in der Welt steht die Offenheit. Hierbei würde man jedoch, so Stangneth, alles äußern, was man denkt, was einen nicht nur verletzlich machen würde, sondern schon von vorneherein jeden Menschen zu einem Lügner machen würde, denn keine Person sagt durchwegs alles, was ihr in den Kopf kommt.

Aber wäre es denn überhaupt gut immer die Wahrheit zu sagen?

Ein Zusammenleben, in dem man immer alles kommuniziert, was man als wahr erachtet und was diese Gemeinschaft massiv einschränkt, kann nicht wünschenswert sein. Würde man sich schon nur einen Tag vorstellen, an dem man durchgehend die Wahrheit sagen würde, müsste man merken, dass man sich gegenseitig schnell unglücklich macht und man würde mit der höchsten Wahrscheinlichkeit beispielsweise arbeitslos, pleite und einsam werden. Aber natürlich gilt es, eine Lügenprävention vorzunehmen. Es sind also, um es zu veranschaulichen, Lügen, die einem die Realität schöner ausmalen, als sie in Wahrheit ist oder Lügen, die so lange aufrechterhalten werden, bis man sie schließlich selbst glaubt, nicht wünschenswert.

Meine Ergebnisse können also sehr gut durch das allseits bekannte Sprichwort „enjoy the lie“ zusammengefasst werden.

Es ist Fakt, dass wir Menschen ohne Lügen in einem zusammengebrochenen sozialen und wirtschaftlichen System leben würden. Solange diese Lügen nicht zu großes Ausmaß annehmen, hat die Menschheit nichts zu befürchten.

Ich persönlich positioniere mich also völlig konträr zu Immanuel Kant und finde, dass die Motive, die zu Lügen führen, durchaus zu beachten sind. Würde ich also lügen, um beispielsweise Stress oder auch Angst vor Sanktionen zu vermeiden und Gefühle zu schützen, kann ich Lügen sehr gut mit meinem Gewissen vereinbaren. Aus diesem Grund widerspreche ich auch Bettina Stangneths These, dass Lügen per se unmoralisch seien und stimme dem Philosophen Friedrich Nietzsche völlig zu, denn auch ich finde, dass Lügen menschlich sind und das ist auch gut so.

Zitationsquellen:

•             Zitat 1: https://www.tvfanatic.com/quotes/if-lying-was-a-crime-wed-all-be-in-jail/ – 23.03.2023

•             Zitat 2: https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_ein_vermeintes_Recht_aus_Menschenliebe_zu_l %C3%BCgen – 23.03.2023

•             Zitat 3: https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-luegen-und-wahrheit-sagen-100.html – 24.03.2023 – 24.03.2023

•             Zitat 4: https://www.deutschlandfunkkultur.de/philosophie-der-luege-die-luege-ist-anti-aufklaerung-100.html – 24.03.2023

Weitere Quellen:

•             https://www.zeit.de/online/2007/12/luegengeschichte/seite-2 – 24.03.2023

•             https://www.bpb.de/lernen/kulturelle-bildung/273582/kann-das-luegen-moralisch-sein/ – 24.03.2023

•             https://www.abenteuer-philosophie.com/darf-ich-notluegen/ – 24.03.2023

6 Kommentare

Kommentieren →

hey lionking 🙂
wow, ich finde deinen Beitrag mit der Auflistung der einzelnen Zitate unfassbar gut!

Ich finde es auch sehr interessant, wie Kant sich zu dem Thema „Notlügen“ positioniert
Mit seiner Aussage „Die Wahrheit zu sagen ist eine Pflicht, aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf Wahrheit hat.“ hält er Ehrlichkeit für eine Rechtspflicht, bei der diese ein Gesetz sei, ganz nach seiner Auffassung: unbedingt gültig, objektiv und allgemein.
Wie du schon gesagt hast, ist es laut seinem kategorischen Imperativ also völlig bedeutungslos, ob man einfach so lügt, oder aus Not lügt (=Notlüge).

Doch genau wie du positioniere ich mich konträr zu der Auffassung von Kant, da meiner Meinung nach die Motive, die hinter einer Lüge stecken definitiv zu beachten sind!
Betrachten wir beispielsweise die Notlüge, so lässt sich natürlich nicht bestreiten, dass die Notlüge faktisch eine Lüge ist, jedoch ist die dann erst von positivem Nutzen (und somit moralisch nicht verwerflich), wenn sie eingesetzt wird, um eine andere Person (!) zu schützen oder vor Leid zu bewahren.
Sie darf jedoch nicht dazu verhelfen, mir selbst Vorteile zu verschaffen oder einen anderen bewusst negativ zu schaden.

hey lionking,
Ich finde deine Themenwahl echt interessant, da vermutlich jeder Mensch schon einmal Notlügen verwendet hat. Ich bin was Notlügen angeht genau deiner Meinung, denn oft vermeiden sie unnötigen Streit oder den Verlust einer Freundschaft.
Wenn mich beispielsweise jemand fragt, wie mir sein neuer Haarschnitt gefällt und mir persönlich ein anderer mehr gefallen würde, nützt es mir nichts dies zu sagen. Stattdessen sage ich ihm lieber, dass mir der Haarschnitt gefällt und vermeide somit einen Konflikt, denn jeder Mensch hat eben einen anderen Geschmack.
Es gibt natürlich noch viele andere Situationen in denen man Notlügen verwendet, jedoch gilt für mich grundsätzlich, dass Notlügen in Ordnung sind, solange man nicht zu sehr übertreibt und wirklich nur aus einer Notwendigkeit zur Lüge greift und somit einen Konflikt oder das verletzen der Gefühle vermeidet, denn wie du bereits erwähnt hast, würden wir Menschen ohne Lügen in einem zusammengebrochenen System leben, was unser aller Leben deutlich erschweren würde.
Liebe Grüße,
Stitch 🙂

Hey lionking,
über dieses Thema hab ich mir schon oft Gedanken gemacht, und mich gefragt wie andere dazu stehen. Ich bin ehrlich und sehe das genauso wie du! Lügen ist keine schöne Sache, da man sich dadurch viel kaputt machen kann, jedoch finde ich das manche Arten von Notlügen akzeptabel seien, zum Beispiel hab ich einer Freundin eine Notlüge aufgetischt als es um ihren Geburtstag ging, zwecks Party und Geschenk. Solche Notlügen kann auch ich mit meinem Gewissen vereinbaren. Manche Menschen allerdings leben auf einem Berg von Lügen, wodurch man ihnen nicht mehr trauen kann, und sowas finde ich sehr schade…
Liebe Grüße
Lau2004

Hallo lionking,
ich finde deinen Beitrag sehr informativ, da du viele Grundsätze und Meinungen von unterschiedlichen Philosophen gegenübergestellt und bewertet hast.
Genau wie du finde ich, dass es manchmal besser ist zu lügen, weil die Wahrheit zu sagen größeren Schaden nach sich ziehen würde. Um zum Beispiel das leben eines Menschen zu retten, wie bei Kants Gedankenexperiment, mit dem Mörder, der vor der Tür steht, finde ich es legitim zu lügen.
Ich möchte deinem Fazit jedoch teilweise widersprechen. Wenn man nämlich Freunde anlügt, weil man sich zum Beispiel nicht traut die Wahrheit zu sagen, oder weil man ihre Gefühle nicht verletzen möchte, finde ich das Motiv nicht wichtig genug, um die Lüge zu rechtfertigen. Freundschaft basiert auf Vertrauen, weshalb ich es wichtig finde ehrlich zu sein. Wahre Freunde verlassen einen auch nicht sofort, wenn man die Wahrheit sagt, die möglicherweise etwas unangenehm oder verletzend ist.
Allgemein finde ich Notlügen also legitim, aber nur wenn es sich bei dem Motiv tatsächlich um eine Notlage handelt.

hey lionking,
ich finde dein Thema sehr faszinierend und habe mich auch selbst schon öfters damit befasst.
Ich persönlich finde, dass Notlügen je nach Situation entweder angebracht oder unangemessen sind, wobei man dabei an erster Stelle an die Person denken sollte, der man diese Notlüge erzählt. Es sollte meiner Meinung nach immer zuerst abwägen, ob sich diese Lüge wirklich lohnt oder ob die Wahrheit nicht doch die bessere Wahl ist.
Andererseits sind Lügen auch ein Teil vieler Menschen Alltagsleben, wie z.B. bei einem ‚Wie geht es dir?‘, ‚Was hast du heute gemacht?‘ oder ‚Hast du heute schon gegessen?‘. Solche Fragen zielen in einigen Fällen darauf ab, dass man sie nicht ehrlich beantworten will, weil es unter anderem einfacher ist zu lügen, als der anderen Person eine ewig lange Geschichte aufzuspannen, welche zu dem noch unangenehm für einen selbst sind.
Man kann wiederum sagen, dass die Wahrheit eigentlich nie verschleiert werden sollte, da es in vielen Fällen zu Missverständnissen oder einer Folge von folgenden Problemen führt. Außerdem geht es auch einigen Menschen ins Gewissen, wenn sie andere Menschen täglich anlügen u.a. ihre Freunde, Familie, etc.
Ich finde deshalb, dass man nur dann lügen sollte, wenn es wirklich unvermeidbar ist oder es keinerlei negativen Auswirkungen auf sich selbst und sein Umfeld hat.
Sincerely
chaouz

Hallo lionking,
wenn ich spontan an eine Lüge denke, würde ich sagen, dass es eher in die negative Richtung geht.
Wenn ich allerdings etwas zu Notlügen sagen müsste, wäre ich der Meinung, dass dies eher auch in die „positive“ Richtung entwickeln kann, da man hier versucht eine Notsituation zu umgehen, indem man etwas anderes behauptet, als das was der Wahrheit entspricht.
Ich bin ebenfalls der Meinung, dass man im Gegensatz zu Kant auf des Motiv schauen sollte, um zu entscheiden ob eine Notlüge legitim eingesetzt wird oder nicht. Wichtig finde ich auch, zu beachten, wem man denn eine Notlüge erzählt. Also ob es Personen sind, die einem nahe stehen und denen man sich anvertrauen kann, oder ob es eher fremde Leute sind. Wenn ich persönlich von einer Person angelogen werden würde, die mir nahe steht, würde ich wahrscheinlich zweifeln, ob ich dieser Person dann immer vertrauen kann, selbst wenn es nur eine Notlüge war.
Generell würde ich aber auch sagen, dass man, solange man keine schlechten Absichten verfolgt und man denkt, eine Notlüge würde dem anderen eher in der Situation helfen, anstatt ihm zu schaden, auf jeden Fall mal auf eine Notlüge zurückgreifen kann. Allerdings sollte sich alles im Rahmen halten und nicht übertrieben werden. Auch wenn man schon weiß, dass auch die Folgen für den anderen schlecht ausfallen, sollte man meiner Meinung nach unbedingt auf eine Notlüge verzichten, selbst wenn man sich selbst dabei aus einer komplizierten Lage retten kann. Ich würde sagen, dass es auch etwas mit Respekt gegenüber anderen zu tun hat.
Wenn jeder einen Vorteil daraus zieht oder eine allgemeine Situation verbessert werden kann, spricht meiner Meinung nach nichts gegen eine Notlüge.

Schreibe einen Kommentar