Sollte es eine gesetzliche Triage-Regelung geben, um Diskriminierung von Patient*innen auszuschließen?

Das Wort Triage stammt vom französischen Verb „trier“ ab, das „sortieren“ oder „aussuchen“ bedeutet. Es beschreibt, dass Ärzt*innen in Notfallsituationen entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge sie Menschen helfen.

Die Geschehnisse aus dem italienischen Bergamo vom März 2020 haben sich vielen ins Gedächtnis gebrannt. Tausende Menschen starben dort zu Beginn der Pandemie an COVID-19. Die Krankenhäuser waren so überlastet, dass nur noch Patient*innen mit guten Überlebenschancen auf der Intensivstation aufgenommen wurden. In solchen Fällen oder zum Beispiel auch nach einem Terroranschlag oder einer Katastrophe, stellt sich die Frage welche Patient*innen bei der Behandlung Vorrang haben. Für eine eindeutige Triage-Regelung beschloss der Bundestag 2021 deshalb ein Gesetz, nach dem über die medizinische Versorgung „nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ zu entscheiden ist – ausdrücklich nicht nach Lebenserwartung oder Grad der Gebrechlichkeit. So soll eine Diskriminierung von bestimmten Patientengruppen (z.B. Ältere Personen oder Personen mit geistiger oder körperlicher Einschränkung) ausgeschlossen werden.

Im Herbst 2025 wurde dieses Gesetz allerdings wieder gekippt, da Ärzt*innen klagten, dass sie sich in ihrer Berufsfreiheit eingeschränkt sehen und da dem Bund für solch eine Regelung die Gesetzgebungskompetenz fehle.

Dem Deutschen Institut für Menschenrechte zufolge wird aber dringend wieder eine bundeseinheitliche und diskriminierungsfreie Triage-Regelung benötigt, die Menschen mit Behinderungen, chronisch Kranke und ältere Menschen davor schützt, benachteiligt zu werden, wenn intensivmedizinische Ressourcen nicht ausreichen.

In meinem Blog Beitrag befasse ich mich deshalb allgemein mit der Frage ob es überhaupt ein Gesetz geben sollte, dass im Triage-Fall „nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit“ der Patient*innen entschieden werden darf, um Diskriminierung auszuschließen.

Für ein solches Gesetz spricht, dass niemand aufgrund seines Alters, seines Geschlechtes oder aufgrund einer Behinderung benachteiligt wird. Studien zeigen, dass Menschen mit Einschränkungen medizinisch eher falsch beurteilt werden. Im Falle einer Triage würden sie deshalb möglicherweise hintenangestellt werden. Wenn es aber ein Gesetz gäbe, dass nur aufgrund der aktuellen Überlebenschance beurteilt werden darf, müssten Menschen mit Beeinträchtigungen und ihre Angehörigen sich keine Sorgen mehr machen, dass ihre Behandlung zu kurz kommt, obwohl es eigentlich keinen medizinischen Grund dafür gibt. Auch wäre ein solches Gesetz im Sinne der Menschenrechte, da niemand bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Zum Beispiel legt der dritte Artikel des Grundgesetzes ein umfassendes Diskriminierungsverbot fest.

Ein weiteres Argument für eine gesetzliche Regelung im Triage-Fall wäre außerdem, dass Ärzt*innen in einer Notsituation von der schwierigen ethischen Entscheidung, welchen Patienten sie zuerst behandeln, befreit wären. Außerdem wären sie rechtlich abgesichert und müssten sich für ihre Entscheidung vor den Angehörigen der Patient*innen nicht rechtfertigen. Des Weiteren wären die Gewissenskonflikte der Ärzt*innen möglicherweise geringer, als wenn sie eigenständig über die Reihenfolge der zu behandelnden Patient*innen entscheiden müssten.

Gegen ein solches Gesetz spricht, dass in die Berufsfreiheit der Ärzt*innen zu stark eingegriffen werden würde. Ärzte und Ärztinnen, die sechs Jahre Studium plus fünf bis sechs Jahre Facharztausbildung hinter sich haben, verfügen in der Regel über genug Fachwissen, um auch die langfristige Lebenserwartung oder die Lebensqualität des Patienten und nach der Behandlung mit ein zu beziehen. Wenn beispielsweise zwei Patienten nahezu dieselbe kurzfristige Überlebenschance haben, aber einer davon aufgrund einer schweren Vorerkrankung langfristig eine viel kürzere Lebenserwartung hätte und nie komplett genesen würde, können die Ärzt*innen selbst am besten beurteilen welchen Patient*innen sie behandeln. Trotz der Vorgaben würden Ärzt*innen wahrscheinlich auch nie ganz objektiv und nur auf die kurzfristige Lebenserwartung bezogen entscheiden, sondern immer ihre eigene Einschätzung miteinbeziehen.

Außerdem gibt es bereits Triage-Systeme und Richtlinien auf die sich Ärzt*innen beziehen können, wie zum Beispiel das Manchester Triage System (MTS), dass üblicherweise in der Notaufnahme verwendet wird. Es ermöglicht eine einheitliche und systematische Einschätzung der Dringlichkeit der Behandlung. Nach solchen erfahrungsmäßig gut funktionierenden Triage Richtlinien könnten sich Ärzt*innen auch im Katastrophenfall, wenn nicht alle Patienten gleichzeitig behandelt werden können, richten. Somit wäre eine weitere Triage-Regelung, um Diskriminierung zu verhindern, möglicherweise irreführend.

Meiner Meinung nach ist dieses Thema ein sehr Schwieriges. Einerseits fände ich es richtig, dass niemand diskriminiert werden darf. Andererseits halte ich es aber auch für wichtig, dass ein Kind zum Beispiel vor einem 80-Jährigen behandelt wird, auch wenn die kurzfristige Lebenserwartung des Kindes in diesem Moment etwas geringer wäre, aber langfristig deutlich länger.

Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass sich mit diesem Thema in der Öffentlichkeit beschäftigt wird, auch ohne einen aktuellen Ernstfall. So müssen sich Ärzt*innen oder Politiker*innen beim Eintreten eines Katastrophenfalls (z.B. einer weiteren Pandemie) nicht mit diesen Fragen beschäftigen.

https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/triage-bundesverfassungsgericht-100.html

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-1bvr228423-1bvr228523-triage-gesetz-ifsg-mediziner-verfassungsbeschwerde

https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/bvg25-099.html

https://www.deutschlandfunk.de/intensivmedizin-triage-bundesverfassungsgericht-menschen-mit-behinderung-100.html

https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuelles/detail/menschenrechtsinstitut-fordert-einheitliche-schutzstandards-fuer-triage-situationen

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