Intertemporale Gerechtigkeit – Wichtiger denn je?

„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden. Oder negativ ausgedrückt: Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens.“

Angelehnt an Kants kategorischen Imperativ hat Hans Jonas den ökologischen Imperativ mit den oben geschriebenen Worten aufgestellt. Mit dem Ökologischen Imperativ und seinem Buch „Das Prinzip der Verantwortung“ hat Jonas schon im Jahr 1979 den Grundgedanken für die intertemporale Gerechtigkeit gelegt, die erst in den letzten Jahren in der deutschen Politik zur Sprache kam.

Intertemporale Gerechtigkeit setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: intertemporal und Gerechtigkeit. 

Intertemporal wird in diesem Zusammenhang in Bezug auf Generationen angewandt. Die Intertemporale Generation ist die Gesamtheit der heute lebenden Menschen, also lebt nach dem Intertemporalen Generationen-Begriff immer nur eine Generation zur gleichen Zeit.

Gerechtigkeit ist ein Prinzip, bei dem ein staatliches oder gesellschaftliches Verhalten jedem gleichermaßen sein Recht gewährt.

Intertemporale Gerechtigkeit ist also eine Gerechtigkeit zwischen Generationen, bei der sich das staatliche oder gesellschaftliche Verhalten einer Generation auch auf viele nachfolgenden Generationen auswirkt. 

Der Philosoph Hans Jonas hat mit seinem ökologischen Imperativ gesagt, das die Verantwortung für das eigene Handeln nicht „vor der eigenen Haustür“ endet, sondern Auswirkungen auf entfernt lebende Menschen und nachfolgende Generationen hat. Dieses Phänomen ist durch die wachsende Weltbevölkerung, den technischen Fortschritt und die voranschreitende Globalisierung entstanden. Deshalb sieht er es als die Aufgabe jeder Generation an so zu Handeln, dass die Folgen für die nächsten Generationen so minimal wir möglich sind. 

Warum sind politische und gesellschaftliche Verhaltensweisen und Handlungsoptionen aber nicht schon lange nach dem ökologischen Imperativ ausgerichtet, wenn Hans Jonas dieses 1979 beschrieben hat?

Ein gutes Beispiel auf das die intertemporale Gerechtigkeit angewendet werden kann und mit dem oft auch der ökologische Imperativ von Hans Jonas in Verbindung gebracht wird, ist die Klimakrise. 

Durch die Jugend-Bewegung „Fridays for Future“ wurde genau das Prinzip, das Hans Jonas vor 42 Jahren beschrieb aufgegriffen, „Denkt an die nächsten Generationen!“ 2019 wurde das deutsche Klimaschutzgesetz, nach der Klage von mehreren Umweltorganisationen teilweise als verfassungswidrig eingestuft. In diesem Fall wurde mit dem Artikel 20a argumentiert, der vorher in politischem Handeln kaum Beachtung fand. Artikel 20a sagt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen (…) durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Warum erst jetzt? Es ist wichtig so zu handeln, dass möglichst auch die nachfolgenden Generationen von unseren Taten profitieren oder sie zumindest nur minimal von den Folgen betroffen sind und die Problemlösungen nicht immer weiter gegeben werden. Im Fall der Klimakrise wird politisch so gehandelt, dass wir, die Generation die gerade auf dem Planeten lebt ein möglichst bequemes Leben führen kann und unsere Kinder noch so leben können wie wir.

Wenn die Politik auf der Basis der intertemporalen Gerechtigkeit Entscheidungen treffen würde, hätte sich schon einiges geändert. Tempolimits auf Autobahnen oder Verbote von Inlandflüge sind nur einige Beispiele dafür, was die Politik hätte tun können um das 1,5 °C Ziel einzuhalten. Dieses Ziel ist ein Kompromiss der im Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen und um so den nächsten Generationen noch ein angenehmes Leben zu ermöglichen. Wenn wir aber so weiter machen wie bisher und nur an unsere eigene Generation und die unmittelbar nach uns denken wird es schwierig die Klimakrise in den Griff zu bekommen, da darauf gehofft wird, dass sich die nächste Generation darum kümmert.

Ähnlich wie bei der Klimakrise ist es mit vielen anderen Umweltproblemen, die Überfischung der Ozeane, die Abholzung der Wälder, der enorme Fleischkonsum und der Abbau endlicher Rohstoffe. Neben den Umweltproblemen gibt es auch wirtschaftliche Probleme, wie die Staatsverschuldung. Bei all den Entscheidungen die zu diesen Themen getroffen werden, wird nur kurzfristig gedacht und die Problemlösung auf die nachfolgende Generation „abgeschoben“, die wiederum das Gleiche macht. Deshalb sollte die Frage nach Intertemporaler Gerechtigkeit ein fester Bestandteil bei allen politischen Beschlüssen und Handlungen sein, denn Fakt ist, die Erde wird noch viel länger mit Leben gefüllt sein als wir denken können und unsere Handlungen haben noch viel größere Auswirkungen, als wir uns vorstellen können.

Um mit einem Zitat von Hans Jonas abzuschließen: „Für den Weltuntergang braucht es keine Atomwaffen. Es reicht, wenn wir nur alle so weitermachen wie bisher.“

Es ist also Fakt, dass wir als Individuen, wir als Gesellschaft etwas tun müssen, um unseren Planeten nicht in kürzester Zeit zu zerstören. Warum wurde bis jetzt noch fast nichts getan? Das Problem liegt darin, dass wir in allen Bereichen unseres Lebens in einer nachrevolutionären Zeit leben. Im Gegensatz dazu haben wir aber ein vorrevolutionäres Denken. Die Menschheit hat es geschafft den Planeten in der „Lebensspanne zweier Generationen an den Rand des Kollapses“ zu bringen. Der Overshoot Day rückt jedes Jahr näher an den Jahresanfang und wir leben immer mehr mit Ressourcen, die uns nicht zu stehen würden, wenn wir gewährleisten wollen, dass noch viele Generationen nach uns ein angenehmes Leben auf dem Planeten Erde führen können.

Genau das sollte aber meiner Meinung nach das Ziel eines jeden einzelnen sein: mit Rücksicht auf die nachfolgenden Generationen zu leben. Denn wenn viele Generationen vor uns auch schon das Maß der Verschwendung und Rücksichtslosigkeit gelebt hätten würde es uns nicht geben. 

Wir als Menschen sollten solidarisch leben und zwar nicht nur kurzfristige Solidarität, sondern langfristig. „Denn Zukunft ist nichts, was bloß vom Himmel fällt. Nichts, das einfach nur so passiert. Sie ist in vielen Teilen das Ergebnis unserer Entscheidungen“. (aus: „Unsere Welt neu Denken“ von Maja Göpel) Bis zu einem gewissen Grad haben wir als Menschen die Zukunft in der Hand und um Menschen, die nach uns Leben einen Planeten zu hinterlassen, der immer noch eine Zukunft hat, ist es wichtig intertemporal gerecht und nach dem ökologischen Imperativ zu leben. Wenn wir das erkannt haben und uns die Regeln, Ideen und Strukturen, die dahinter stehen, bewusst machen und eben nicht so weiter machen wie bisher, sondern in einer neuen Realität leben, haben wir eine Chance. 

Quellen:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/philosophie-aus-den-archiven-hans-jonas-ueber-die-tuecke-100.html

https://www.bpb.de/apuz/generationen-2020/324493/generationengerechtigkeit

https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2021-04/klimaschutzgesetz-ist-in-teilen-verfassungswidrig

https://www.swr.de/swr2/wissen/hans-jonas-und-die-ethik-der-verantwortungswr2-wissen-2020-02-28-100.html

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