Sind Reichtum und soziale Ungleichheit moralisch gerechtfertigt?

„Soziale und ökonomische Ungleichheiten sollen so beschaffen sein, dass sie zum größten Vorteil der am schlechtesten Gestellten sind, und an Ämter und Stellungen geknüpft sind, die allen offen stehen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit.“ So John Rawls, welcher sich mit der Frage nach der Gerechtigkeit und sozialer Ungleichheiten beschäftigt hat, welches auch das Thema meines Essays ist.

Heutzutage gibt es in fast allen Gesellschaften soziale Ungleichheiten. Manche schwimmen nahezu in ihrem Geld, während andere jeden Cent „umdrehen“ müssen um irgendwie über die runden kommen zu können und so in ihrer Armut leben müssen. Diese Ungleichheit ist nicht nur auf die Wirtschaft zurückzuführen, sondern hat auch tiefgreifend soziale und politische Auswirkungen, welche immer wieder zu regen Diskussionen führen. Doch ist es moralisch vertretbar, dass manche Menschen im Überfluss Leben, während es anderen am Nötigsten fehlt? In einer Welt, in der der Unterschied zwischen arm und reich immer weiter wächst und soziale Spannungen zunehmen, wird sich immer häufiger die Frage nach der Gerechtigkeit von Reichtum und sozialer Ungleichheit gestellt. 

John Rawls ein sehr angesehener Philosoph des 20. Jahrhunderts beschäftige sich in seinem Buch „Theory of Justice“, mit der Frage ,wie man eine Gesellschaft gerecht aufbauen könnte. Ebenfalls hat er auch ein Gedankenexperiment der „Schleier des Nichtwisssens“ durchgeführt, in dem er dazu auffordert, eine hypothetische Situation sich vorzustellen, in der wir unsere gesellschaftliche Stellung, unsere sozialen Vor- und Nachteile, unser Vermögen oder unser Geschlecht nicht kennen. Hinter diesem Schleier würden alle Menschen die Gesellschaftsordnung nach Prinzipien gestalten, die unabhängig von ihren eigenen Interessen sind, da niemand weiß, welche Position er später einnehmen wird. Dadurch schlägt Rawls zwei Grundsätze der Gerechtigkeit vor. Zum einen das Gleichheitsprinzip, welches bedeutet, dass jeder Mensch gleiche Grundrechte Freiheiten haben solle und das Differenzprinzip, welches bedeutet, dass soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten nur dann gerechtfertigt sind, wenn sie den am schlechtesten gestellten in der Gesellschaft zugute kommen. Das Differenzprinzip ist besonders wichtig, wenn wir über die moralische Legitimität von Reichtum sprechen. Rawls argumentiert, dass Ungleichheiten akzeptabel und sogar Wünschenswert sein können, sofern sie zum Wohl der gesamten Gesellschaft beitragen, vor allem aber den Bedürftigsten helfen. So können zum Beispiel hohe Einkommen für Unternehmer oder Wissenschaftler gerechtfertigt sein, wenn ihre Arbeit zu sozialen fortschritten führt oder Arbeitsplätze schafft. Diese Art von Ungleichheit wäre, nach Rawls moralisch vertretbar, da sie den schwächeren, indirekt nützt.

Kritikpunkte an Rawls ansetzen wäre, zum Beispiel, dass das Differenzprinzip unrealistisch ist, da es voraussetzt, dass Wohlhabende ihre Interessen im Sinne der ärmeren in der Gesellschaft zurückstellen. Realistischer, wäre es demnach, dass diese Umverteilung nur sehr schwer durchzusetzen wäre, da viele Menschen eher dazu neigen, ihren eingen Reichtum zu maximieren. Zudem könnte man sagen, dass das Differenzprinzip in der Theorie noch zu unklar ist, um es praktisch umsetzen zu können, um eine gerechte Gesellschaftsordnung daraus zu erzielen. 

Eine andere Sicht auf Dinge bekommt man zum Beispiel auch, wenn man den Utilitarismus betrachtet, welcher sich ebenfalls mit Reichtum und Ungleichheit befasst, so wie auch der Philosoph John Stuart Mill, welcher Handlungen danach bewertet, ob sie das größte Glück der größten Zahl fördern. Aus seiner Perspektive kann Reichtum gerechtfertigt sein, wenn es den Wohlstand der Gesellschaft insgesamt erhöht. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn Reichere  durch Investitionen Bildungs oder Gesundheitssystemen der gesamten Gesellschaft zugute kommen. Allerdings kann man mit dieser Ansicht, auch zu dem Schluss kommen, dass extreme Ungleichheiten moralisch nicht vertretbar sind, da das Wohlbefinden der ärmeren Bevölkerung von der reicheren Bevölkerung abhängig ist.

Betrachtet man die verschiedenen philosophischen Perspektiven, wird wird deutlich, dass die moralische Rechtfertigung von Reichtum und Ungleichheit immer von den jeweiligen sozialen Auswirkungen abhängt. Die Sichtweise von John Rawls legt nahe, dass Ungleichheit dann moralisch akzeptabel ist, wenn sie den bedürftigen zugute kommt und somit eine Art indirekte, soziale Umverteilung bewirkt. Diese Bedingungen stellt allerdings hohe Ansprüche an die Reichen, die bereit sein müssen, ihren Wohlstand im Sinne des Gemeinwohls einzusetzen. ein Ansatz könnte darin bestehen, Rawls Differenzprinzip anzuerkennen, gleichzeitig aber auch Maßnahmen zu ergreifen, um übermäßige Ungleichheiten zu reduzieren. Dies könnte durch eine gerechte Steuerpolitik oder stärkere soziale Sicherungssysteme geschehen, die den Wohlstand fairer verteilen, ohne individuelle Anreize und Innovation zu ersticken.

Insgesamt kann man sagen, dass die Frage nach der moralischen Rechtfertigung von Reichtum und soziale Ungleichheit sehr vielschichtig und komplex ist. Die Theorie von John Rawls Besagt, dass soziale Ungleichheit unter bestimmten Bedingungen als gerechtfertigt angesehen werden kann, nämlich dann, wenn diese auch den am schlechtesten gestellten in der Gesellschaft so gut kommen. Das Differenzprinzip liegt somit nahe, dass Ungleichheit moralisch tragbar sein kann, sofern sie dazu beiträgt, das Gemeinwohl zu fördern und die Lebensbedingungen der bedürftigen zu verbessern.

Der Utilitarismus zeigt jedoch, dass soziale Ungleichheiten auch Risiken mit sich bringen kann. Extreme Vermögenskonzentration können den sozialen Zusammenhalt gefährden und das Wohlbefinden Allgemeinheit beeinträchtigen und zu Spaltungen der Gesellschaft führen. Hier wird deutlich, dass Ungleichheit dann problematisch wird, wenn sie den Zugang zu grundlegenden Ressourcen und Chancen ungerecht verteilt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass soziale Ungleichheiten in gewissen Maße moralisch vertretbar sein kann, allerdings nur unter Bedingungen, die das sowohl der Gesellschaft insgesamt fördern. Es müssen sowohl individuelle Freiheiten respektieren werden, als auch für eine gerechte Verteilung der Ressourcen gesorgt werden. So könnte eine Gesellschaft entstehen, die den Menschen ermöglicht, nach Wohlstand zu streben, allerdings auch sicherstellt, dass dieser Wohlstand nicht auf Kosten anderer entsteht. Die moralische Verantwortung von wohlhabenden, ihren Reichtum zum Gemeinwohl beizutragen, könnte daher eine Schlüsselbedingung für eine gerechte und stabile Gesellschaft sein.

https://www.studysmarter.de/schule/wirtschaft/rechtslehre/gerechtigkeitsgrundsaetze/#
https://www.studysmarter.de/schule/wirtschaft/rechtslehre/gerechtigkeitsgrundsaetze/#
https://de.wikipedia.org/wiki/Schleier_des_Nichtwissens

Schreibe einen Kommentar