Zusammenfassung des Ethikunterrichts am 19.06.2020

19.06.2020, 9:40h – 11:15h, alle anwesend

Zu Beginn der Stunde haben wir das Dilemma des Kurzfilms „Sommersonntag“ mithilfe eines Schemas auf den Utilitarismus nach Jeremy Bentham bezogen. Dabei haben wir in einer Tabelle direktes und indirektes Glück direktem und indirektem Leid gegenübergestellt.

Direktes Glück/Leid ist unmittelbar. Das bedeutet, dass es einen sofort, also ohne einen Mittler, betrifft. Indirektes Glück ist mittelbar, was bedeutet, dass ein Mittler vorhanden ist. Ein Beispiel dafür wäre, dass ich traurig bin und meine Freunde aus Mitleid oder aufgrund der bedrückten Atmosphäre auch traurig werden. Es kann somit auch eine Woche nach dem Geschehen auftreten, da man hauptsächlich bei anderen Menschen mitfühlt.

In Bezug auf „Sommersonntag“ haben wir Glück mit weniger oder keinem Leid gleichgestellt. Das bedeutet, dass wir beispielsweise die Reisenden als glücklich bezeichnet haben, weil die nicht ertrunken sind und somit kein Leid hatten. Neben den Reisenden haben wir noch ihre direkt Verwandten in die Spalte „direktes Glück“ geschrieben, da sie auch ohne Mittler um den Verlust der Person trauern werden.

Indirektes Glück haben Familie, Freunde und Bekannte, da niemand in ihrem Umfeld gestorben ist und sie das Leid anderer Personen somit nicht belasten kann. Zudem der Bundespräsident, da wenig Leute gestorben sind, die Bahn, da sie keine Mittarbeiter und keinen Zug verloren haben und die Firmen in denen die Reisenden arbeiten, da diese keine qualifizierten Mitarbeitern verloren haben und somit keine neuen Mitarbeiter suchen mussten.

Direktes Leid hatte der Sohn, da er umgebracht wurde. Zudem hatte der Vater direktes Leid, da er seinen eigenen Sohn umbringen musste, jedoch hätte er in jedem Fall direktes Leid erlebt und die Mutter betraf ebenfalls direktes Leid, da sie ihren Sohn verloren hat und eine Teilschuld trägt, da sie ihn nicht pünktlich abgeholt hat.

Indirektes Leid haben zum einen die restliche Familie, Freunde und Bekannte des Jungens und Leute aus dem Zug, die von dem Geschehnis mitbekommen und ein schlechtes Gewissen haben, da ein Junge für sie gestorben ist.

Schließlich haben wir einen ungefähren Zahlenwert aufgeschrieben, um herauszufinden mit welcher Entscheidung die meisten Menschen glücklich sind.

Diese Zahlen sind allerdings nur grob geschätzt und es könnten eventuell noch Kategorien hinzukommen, da der Junge oder einer der Reisenden in Zukunft jemanden das Leben retten könnte. Zudem könnte unter den Reisenden sowohl ein Arzt sein, der ein Heilmittel gegen eine bisher unheilbare Krankheit entdeckt, als auch ein Serienmörder, der in der Zukunft einige Menschen töten wird.

Man hätte zudem die Zahlen des direkten Glücks/Leids höher als die des indirekten Glücks/Leids werten können, indem man beispielsweise alle Zahlen in der „direkt-Zeile“ mit zwei multipliziert. Somit gäbe es einen Unterschied zwischen der Mutter und den Menschen aus dem Zug, da die Langzeitwirkung des Leids für die Mutter wesentlich drastischer ist. Dadurch hätte man die Schwäche der unverhältnismäßigen Gegenüberstellung ausgeglichen.

Im Großen und Ganzen ist jedoch eindeutig, dass sich der Vater zugrunde des Utilitarismus richtig entschieden hat, da die Anzahl der Menschen, die Glück hatten, gegenüber denen, die leiden, überwiegt. Erstere ist nahezu 20-mal so groß.

SommersonntagGlück bzw. weniger/kein LeidLeid
direkt unmittelbarReisende 230
Direkte Verwandte 500
Sohn 1
Vater 1
Mutter 1
indirekt mittelbarFamilie, Freunde, Bekannte 1500 Bundespräsident 1
Bahn 10
Firmen 200  
Restliche Familie, Freunde, Bekannte 50
Leute aus dem Zug 75
Ergebnis2441128

Ein weiterer Kritikpunkt des Modells ist die Frage, ob es ethisch gerechtfertigt ist, quantitativ Glück gegen Leid abzuwägen.

Bezüglich dieser Frage haben wir uns Beispielsituationen durchgelesen und darüber diskutiert, ob man dieses hedonistische Kalkül anwenden kann oder nicht. Wenn man es unserer Meinung nicht anwenden konnte, mussten wir noch bestimmen, ob man es aufgrund der Langzeitwirkung oder aufgrund der aufzubringenden Mittel/Moral nicht anwenden sollte.

Ein Beispiel für die Anwendung wäre, dass ein Arzt einem Patienten das Bein amputiert, um sein Leben zu retten. Hierbei kann man das hedonistische Kalkül anwenden, da der Zweck bedeutender als das Mittel ist. Für den Patienten würde es sich auf jeden Fall lohnen, sein Bein amputieren zu lassen, wenn er anderenfalls stirbt.

Ein Beispiel, dass aufgrund von Langzeitfolgen gegen das Kalkül spricht, wäre einen Brand in einer menschenleeren Waffenfabrik nicht zu löschen, um die Produktion weiterer Kriegswaffen zu verhindern. Dagegen spricht, dass es so viele Waffenfabriken gibt, dass eine weniger keinen Unterschied machen würde. Zudem würde sie danach wieder aufgebaut oder auf einen anderen Standort verlegt werden. Langfristig gesehen würde es somit nichts an Kriegen ändern.

Ein Beispiel dafür, dass die Mittel sich dem Zweck gegenübergestellt nicht lohnen oder moralisch verwerflich sind, wäre ein Frauenarzt, der Patientinnen anstelle der Anti-Baby-Pille heimlich Plazebos gibt, um die Geburtenrate zu erhöhen und somit einen langfristigen Generationenvertrag zu gewähren. Es wäre moralisch nicht vertretbar, Frauen zu einer Schwangerschaft zu zwingen, vor allem, wenn sie nicht bereit dazu sind. Diese Frauen haben sich durch die Einnahme der Anti-Baby-Pille gegen ein Kind entschieden und dafür vermutlich Gründe gehabt werden. Es könnte unter anderem sein, dass sie noch zu jung für ein Kind sind, evtl. eine vererbbare Krankheit haben oder nicht die Zeit bzw. finanzielle Mittel haben, ein Kind großzuziehen.

Während diese drei Beispiele relativ deutlich zuzuordnen waren, gab es bei anderen längere Diskussionen. Eines dieser Beispiele wäre, dass ein Arzt einem gesunden Menschen jahrelang unter einem Vorwand heimlich Blut abnimmt, um ein Medikament zu entwickeln, dass Millionen Leben retten kann. Für die Anwendung des hedonistischen Kalküls spricht, dass es dem Patienten nicht schadet, wenn ihm Blut abgenommen wird und der Arzt gleichzeitig, wenn die Herstellung des Medikaments gelingt, Millionen Leben retten kann und ein Arzt sollte alles tun, um Leben zu retten. Doch nach dem Gesetz würde der Patient dadurch in seiner Würde verletzt werden und somit wäre das quantitative Gegenüberstellen von Leid und Glück moralisch nicht vertretbar. Der Arzt sollte den Patienten um Erlaubnis fragen oder Blut von Leuten nehmen, die es für diesen Zweck gespendet haben.

Kurz vor dem Ende der Ethikstunde haben wir uns einen Podcast über John Stuart Mill, dem Begründer des Utilitarismus, angehört.

Eckpunkte seines Lebens sind, dass er schon immer ein Querdenker war und somit andere Meinungen als die Mehrheit vertrat. Als junger Mann wurde er deshalb schon einmal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Unter anderem setze er sich für ein Wahlrecht für Frauen und öffentliche Bildungseinrichtungen für Notarbeiter ein. Er selbst war dem gehobenen Mittelstand zugehörig und politisch liberal eingestellt. Zudem war er politischer Autor und Unterhausabgeordneter. Er verglich oft den Nutzen des Individuums mit dem der Gesellschaft, wobei die Gesellschaft stets Vorrang hatte.

Beispiele wären, ein Rauchverbot in Gaststätten und Kneipen, kein freier Erwerb von Schusswaffen oder auch ein abstürzendes Flugzeug mit 100 Insassen abzuschießen, um 1000 Menschen am Boden zu retten.

Negativbeispiele wären, dass 10% der bundesdeutschen Bevölkerung 30% des Volksvermögens besitzen oder dass in Dritter Welt Länder Pflanzen angebaut werden, die westliche Zivilisationen als Futtermittel benutzen.

Die Grundgedanken seines Utilitarismus beziehen sich darauf, dass Handlungen für so viele Menschen wie möglich den größtmöglichen Nutzen erfüllen sollen. Dabei darf die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt werden.

Unter Wohlverstandenem Eigeninteresse versteht man, dass jeder nach seiner eigenen Lust und seinem eigenen Glück strebt, jedoch das Gesamtbild der Gesellschaft nicht aus dem Auge verloren werden darf.

Handlungen sind insoweit moralisch richtig, wenn sie kollektives Glück befördern.

Gerecht ist das größtmögliche Glück der größtmöglichen Anzahl von Menschen. Nun stellt sich wie Frage, ob Gehälter und Sozialleistungen gerecht sein können. Das Interesse bzw. das Glück von Minderheiten wird schließlich gegenüber dem der Mehrheit zurückgestellt.

Kritik an Mill wäre somit, dass sein Prinzip des Utilitarismus nicht auf Gleichbehandlung beruht, sondern Einzelne dem Unglück ausgesetzt sein dürfen. Allerdings wäre es ethisch nicht angemessen, Leuten ihr Glück zu verwehren und sie aus egoistischem Interesse der Mehrheit in extremes Unglück zu stürzen. Beispiele dafür wären der Nationalsozialismus oder auch das Verbot von Homo-Ehen. Somit wird deutlich, dass sich auch die Mehrheit irren kann. Doch auch ein Zensuswahlrecht, das nur Gebildeten das Wahlrecht gibt, ist nicht optimal. Wie bereits erwähnt,  ist es zu kritisieren, wenn Minderheiten benachteiligt werden. Schließlich muss man ein Kriterium finden, dass gebildete Menschen von ungebildeten Menschen trennt. Früher durften somit nur Menschen ab einem gewissen Einkommen wählen. Man kann es befürworten, da sie meist eine bessere Schulbildung hatten, allerdings darf man nicht außer Acht lassen, dass dadurch die Intressen der Ärmeren politisch überhaupt nicht vertreten werden.

Der Utilitarismus ist heute insofern aktuell, dass jeder wählen darf und somit die Mehrheit über die Regierung bestimmt und bestenfalls mit ihr zufrieden sein wird. Allerdings steht der Utilitarismus auch oft der Moral gegenüber. Es stellt sich die Frage, ob man Futtermittel in Dritter Welt Länder anbauen darf, um das Klima zu schützen. Tut man dies, hat die Bevölkerung dort nicht genug Anbaufläche für Nahrungsmittel, tut man es nicht, wird die Umwelt weniger geschützt. In diesem Fall wäre es moralisch vertretbarer, auf das Glück des Kollektivs zu verzichten und den Menschen dort beispielsweise mit Nahrungsmitteln auszuhelfen. Das Tierfutter wird zwar teurer, aber die Menschen dort müssten im Gegenzug nicht verhungern. Somit zeigt sich, dass der Utilitarismus eine Grundlage für ethische Grundkonzepte, die auf Gedankenexperimenten basieren, ist, jedoch heutzutage oft nicht auf die Gesellschaft bezogen werden kann, da es zu Benachteiligungen von Minderheiten führen kann.

Quelle:

https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiowissen/john-stuart-mill-utilitarismus100.html zuletzt aufgerufen am 25.06.2020

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