Werden alle Gamer zu Terroristen?

Am 9. Oktober 2019 versucht der Rechtsextremist Stephan Balliet einen Massenmord in einer Synagoge in Halle (Saale). Als ihm dies misslingt, erschießt er stattdessen zwei andere Personen, die ihm zufällig begegnen und verletzt drei weitere Personen durch Schüsse. Jedoch ist auch schockierend, dass er das Datum, das Ziel und die antisemitischen Motive des Angriffs im Internet zuvor bekannt gibt, den ganzen Anschlag mit seiner Helmkamera filmt und parallel auf Twitch streamt, um für seine Tat Aufmerksamkeit zu erlangen. Dieser Anschlag lässt viele verschiedene Diskussionen aufkommen, aber hier widme ich mich insbesondere der Frage, ob allein Videospiele dazu beitragen, dass eine Person einen Anschlag plant und durchführt. (Anmerkung: Dies ist kein Aufruf, den Livestream im Internet zu suchen!!!)

In diesem Fall erinnert vieles an eine Situation aus einem sogenannten Ego-Shooter. Zu Beginn erinnert selbst die Ankündigung des Livestreams und der Livestream an sich an das Streamen von Videospielen, zumal der Täter den Anschlag aus der Ich-Perspektive filmt, aus der man auch unmittelbar die Waffe in seiner Hand sieht. Auch remarkabel ist im Livestream, dass er seine Taten mit Begriffen beschreibt, die sonst im Videospielbereich utilisiert werden und dass Musik unterlegt wird. Aber auch vor dem Livestream erstellt er eine Liste mit sogenannten ,,Achievements“, die in Videospielen eigentlich die Erfolge darstellen, die man im Laufe des Spieles erzielen kann. In diesen notiert er sich Ziele, die er bei dem Anschlag erreichen will. Diese Umstände haben auch für die Ermittlungen die Frage aufgeworfen, inwiefern sich Stephan Balliet an Videospielen orientiert hat.

Für Videospielgegner ist dies die perfekte Situation, um ihre Meinung zu stützen, dass Videospiele nur aggressiv machen und der Psyche schaden. Unglücklicherweise gehen dabei die anderen Motive des Täters unter, die auch dazu beigetragen haben, dass diese Tragödie stattfindet, wie beispielsweise die Vereinigung mit anderen Rechtsextremen im Internet oder auch soziale Isolation in der Realität.

Abgesehen davon, dass bei Anschlägen eine Computerdurchsuchung des Täters nach Gewaltspielen stattfindet, sind auch im alltäglichen Leben Videospiele oft von Eltern negativ konnotiert, zumal diese Aggression bei Kindern fördern sollen. Auch, sagt man, geht bei Gamern die Empathiefähigkeit verloren. Vor Allem in unserer modernen Zeit ist es spannend zu wissen, inwieweit das Spielen von Videospielen als moralisch verwerflich oder als moralisch wertvoll angesehen werden kann.

Wenn man an negative Aspekte bezüglich der Videospiele denkt, fällt einem sofort die Spielsucht ein. Auch Eltern versuchen, Kinder vor einer Spielsucht zu schützen, denn die Opfer einer Spielsucht entschwinden oft aus der Realität und leben in ihrer eigenen, fiktiven Welt. Dies könnte bei einem Erwachsenen ein Auslöser für einen Terroranschlag sein, denn die betroffene Person kann nicht mehr abschätzen, welche gravierenden Folgen ihr Handeln haben wird. Diese Personen leben oft wie in Trance, wobei es ihnen so vorkommt, als tue jemand anderes für sie die schrecklichen Taten. Damit verbunden, sorgen auch oft das übermäßige Ausgeben von Geld für In-App-Käufe, das heißt für virtuelle Produkte, und die eigene Verwahrlosung und Vernachlässigung von Schule und Arbeit für Perspektivlosigkeit, die bekanntlich Menschen radikalisieren kann. Ein weiterer Grund dafür, dass man Videospiele ablehnen könnte, ist, dass diese nie den Spieler befriedigen. Man verspürt nur kurzzeitige Befriedigung, wenn man an einem Tag alle Missionen geschafft hat, jedoch kommen meist nach einigen Stunden wieder neue Aufgaben, die man bewältigen muss. Somit hat man nie die Chance, alles im Spiel zu erreichen, was unumstritten das Ziel von Spielemachern ist, damit man den Spieler weiterhin an seinem Spiel begeistern kann. In vielen Fällen führt diese fehlende Befriedigung auf Dauer zu solch einer Frustration, dass man sich von diesen virtuellen Aufgaben überfordert fühlt. Diese Überforderung resultiert bei manchen Spielern im Verlangen, den Mitmenschen doch zu beweisen, wozu man fähig ist, und das tun tatsächlich manche in Form von Anschlägen. In diesem Fall muss jedoch wirklich eine starke Spielsucht und gesellschaftliche Isolation vorliegen, sonst wäre solch eine enorme Frustration ausgehend von einem Videospiel gar nicht erst möglich.

Als häufigstes Argument gegen das Spielen von Videospielen wird aber aufgeführt, dass ,,Ballerspiele“ destruktive Impulse fördern, da sie aus der Egoperspektive vermittelt werden und der Spieler aus eigener Kraft andere virtuelle Spieler erschießen kann. Dabei gilt es aber zu bemerken, dass mehrere Studien ebendiese Aussage widerlegt haben. In einer Studie einer Universität in New York aus 2017 wurden 2700 Personen getestet, ob Videospiele destruktive Verhaltensweisen fördern können. Dabei wurde der einen Hälfte der Testpersonen ein Videospiel zugeteilt, bei dem die Charaktere auf eine realistische Weise sterben, und der anderen Hälfte wurde ein friedliches Spiel zugeteilt. Nach längerem Spielen wurden alle Testteilnehmer mit einem Wort-Assoziations-Test geprüft, wie viele Kraftausdrücke diese benutzen. Im Durchschnitt wurden in beiden Testgruppen gleich viele Kraftausdrücke benutzt, was bestätigt, dass Videospiele keinen enormen Einfluss auf das Verhalten einer Person haben, solange diese nicht exzessiv Videospiele spielen.

Dieselbe These bestätigen auch deutsche Forscher im Jahr 2017, indem sie zunächst einer Gruppe von Gamern Gewaltbilder und Nicht-Gewaltbilder zeigten und die Gehirnaktivitäten mithilfe eines MRTs verfolgten. Anschließend wurden einer Testgruppe von Personen, die nichts mit Videospielen zu tun hatten, dieselben Bilder gezeigt. Ausgegangen war man davon, dass Gamer aufgrund des häufigen Sehens von Gewaltbildern eine weniger ausgeprägte Reaktion auf Gewaltbilder zeigen als die andere Testgruppe. Im Kontrast dazu bestätigte das Ergebnis jedoch nur, dass Videospiele keine Aggressionen fördern.

Darüber hinaus gibt es auch zahlreiche moralischen Werte, die von Videospielen gefördert werden. Durch Role-Play-Games wird beispielsweise die Empathiefähigkeit gestärkt, denn der Spieler kann sich mithilfe dessen in verschiedene Rollen und Charaktere hineinversetzen und somit deren Entscheidungen nachvollziehen. Dazu zählen beispielsweise Spiele von Quantic Dream wie Heavy Rain oder auch Beyond Two Souls. Des Weiteren fördern manche Spiele auch die Kreativität, wenn man sich zum Beispiel eine eigene Welt nach seinen Vorstellungen baut oder aber auch eigene Musik erschafft. Dieses Ausleben der eigenen Fantasie trägt auch entscheidend zur Selbstverwirklichung und Identitätsbildung bei, denn in Spielen kann man sich auch als Person neu definieren, teilweise auch mithilfe von Anonymität. Hier sieht man auch, dass es nicht nur ausschließlich Ballerspiele gibt, die Gewalt verbildlichen, sondern auch andere, wertevermittelnde Spiele.

Genauso wie man das Entfliehen aus der Realität als negativen Aspekt sehen kann, kann man darin auch eine positive Seite erkennen. Wenn beispielsweise der Alltag stressig ist und man Probleme im sozialen Umfeld hat, kann man sich für eine kurze Zeit in eine Welt ohne Probleme zurückziehen. Dies hat aber nur einen positiven Effekt, solange noch keine Spielsucht mit negativen Folgen auftritt und das Entfliehen aus der Realität somit krankhaft wird.

Zudem kann man beim Spielen von Videospielen neue Leute kennenlernen, die dieselben Interessen haben, wie die eigenen, und kann somit auch sein eigenes Blickfeld erweitern. Im oben genannten Fall hat es jedoch eher dazu geführt, dass der Rechtsextremist mit rechtsextremen Verbänden in Verbindung gekommen ist, weshalb man immer aufpassen muss, mit wem man sich einlässt.

Das gemeinsame Spielen mit Anderen unterstützt aber auch die Kooperationsfähigkeit und Strategieentwicklung einzelner Spieler und verbessert zusätzlich auch die Reaktionszeit. Dies sieht man insbesondere in der professionellen Gaming-Brache, dem E-Sport, der darüber hinaus auch als Unterhaltung dient.

Weiterhin wichtig zu mentionieren ist der Fakt, dass jeder Mensch von Geburt aus natürliche Aggressionen hat, die er ausleben muss. Videospiele sind eine gute Möglichkeit, um dies zu tun, weshalb man später in der realen Welt nicht das Bedürfnis hat, Aggressionen zu zeigen. Dies steht auch im Gegensatz zu der Aussage, dass Videospiele Aggressionen fördern, weshalb es oft von weiteren Umständen abhängt, ob positive oder negative Effekte hervorgerufen werden.

Auch in der ,,Killerspieldebatte“, die um das Jahr 2000 infolge der Veröffentlichung des Spiels Counter-Strike stattfand, wurde kontrovers darüber diskutiert, ob man Spiele mit Gewaltinhalt verbieten sollte. Die Medien sprachen von einem ,,Lernen des Mordens am Modell“, was vor Allem durch die ständige Grafikverbesserung der Spiele immer mehr aufgegriffen wurde. Jedoch allmählich ging die Tendenz dazu über, Anschläge allein durch das Spielen von Videospielen zu begründen. Da sich zu diesem Zeitpunkt in der neuen Generation bereits der Trend ausgebildet hat, zusammen auf sogenannten LAN-Partys Spiele zu spielen, wurde auch die jüngere Generation stark in die Debatte mit einbezogen und dies trug somit zur Politisierung vieler Jugendlicher bei. Schlussendlich hatte man die Debatte etwas eingedämmt, indem man Videospiele als Kulturgut eingestuft hat, und man diese somit nicht mehr verbieten konnte. Jedoch, wie man sehen kann, ist das Thema immer noch sehr aktuell, da trotzdem immer wieder bei Anschlägen die Videospielemacher beschuldigt werden, deren Intention es eigentlich nicht war, Menschen zum Morden zu animieren. Diese Debatte zeigt meiner Meinung nach einen entscheidenden Übergang zwischen zwei verschiedenen Generationen, der nur durch Diskussionen gelöst werden kann. (Zu der Videospieldebatte gibt es eine sehr interessante Dokumentation, diese verlinke ich unten.)

Folglich bleibt zu konstatieren, dass das Spielen von Videospielen nicht zwingend negativ auf die einzelne Person wirken muss und somit nur sehr eingeschränkt als moralisch verwerflich interpretiert werden kann, entgegen dem Mythos, dass Videospiele nur Aggressionen fördern und Terroristen schaffen. Es sind vielmehr die anderen äußeren Impulse, die das Videospielerlebnis so gefährlich machen können, genauso kann das Spielen von Videospielen aber durchaus von gutem Nutzen sein. Solange das Gaming nicht zur krankhaften Sucht wird, sollte man deswegen Gaming nicht nur negativ aufnehmen und verbieten, wie viele Eltern es tun, sondern auch die positiven Seiten darin sehen.

Quellen:

1 Kommentar

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Hallo Asparragus,
Ich finde, dass das ein sehr interessantes Thema ist, da es mich persönlich auch betrifft. Ich stimme bei den meisten Punkten zu und finde es schade, dass viele unserer modernen Probleme fälschlicherweise immer wieder auf Videospiele und die allgemeine Gamerschaft zurückgeführt werden. Allerdings können auch Videospiele längerfristig zufriedenstellend wirken, da es nun mal nicht nur Videospiele gibt, die endlos weitergehen mit immer wieder neuen Missionen wie es bei „Mobile Games“ häufig der Fall ist, sondern auch die klassischen Games die eine lineare Story verfolgen, welche irgendwann auch vorbei ist.

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