Warum scheitern Menschen daran nach der Goldenen Regel zu leben?

„Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg‘ auch keinem andern zu.“

Fast jeder hat schon einmal etwas von der „Goldenen Regel“ oder ihrem Prinzip gehört. Diese Regel bezieht sich auf einen Satz aus der Bibel, Jesus Christus: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen.“ (Neuen Testament, Bergpredigt, Matthäus, 7, 12.)  

Die „Goldene Regel“ oder Reziprozitätsprinzip genannt, ist als eine allgemeine Ethik des Ausgleichs von Interessen zu beschreiben. Man achtet die Bedürfnisse und Interessen anderer und kann gleichzeitig seine eigenen Ziele verfolgen.  In meinem vorherigen Blog-Beitrag, habe ich über das Thema Egoismus und unserer egoistischen Gesellschaft geschrieben, was einen Teil der Regel ausmacht bzw. beinhaltet. Wir konzentrieren uns oft auf uns, unsere Interessen und unseren Vorteil, müssen aber zugleich auch grundsätzlich ein wenig egoistisch sein, um uns selbst zu schützen. Oft fällt es uns schwer, das Gleichgewicht zwischen den eigenen Bedürfnissen mit gesundem abgegrenztem Ego und der Beachtung der Bedürfnisse anderer zu finden und zu leben. Schnell verliert man aus den Augen, was wichtig ist. Die Gemeinschaft und Beziehungen mit anderen Menschen zu pflegen, sich um andere sorgen und ihnen beistehen, wenn sie die Unterstützung von jemanden brauchen. Wir Menschen sind wie Herdentiere, wir brauchen die Gemeinschaft mit unseresgleichen, um uns wohl und geborgen zu fühlen und um uns frei entfalten zu können. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die bestätigen nur die Regel. Wir leiden, wenn unsere Beziehung zu geliebten Menschen zerstört oder verletzt wird. Allerdings gehört das zum Menschsein dazu. Wir verletzen und vergeben einander, was nur funktioniert, wenn wir unser Ego und unseren Stolz herunterschlucken und über unseren Schatten springen und es wagen Risiken einzugehen. Die Goldene Regel soll eben dieses Gleichgewicht beschreiben und eine Möglichkeit bieten, es umzusetzen. Gemäß der Goldenen Regel zu leben, ist langfristig die klügste Art und Weise, für seine Bedürfnisse und sein Eigeninteresse einzustehen und gleichzeitig für das Wohl anderer zu sorgen. Denn wenn man innehält, bevor man etwas sagt oder tut und überlegt, ob man aus der Perspektive der anderen, immer noch gleich handeln würden. Somit handeln wir bedachter, weshalb die Handlung selbst besser wird und von anderen auch als eine gute Handlung anerkannt wird, was diese wiederum ebenfalls zu guten Handlungen bewegen kann. So hat man auf lange Sicht ein gutes und wertvolles Leben geführt, an das man sich gerne erinnert. Wenn es mehr Mitgefühl, Gerechtigkeit und Frieden in unserer Welt geben würde, haben nicht nur die anderen etwas davon, sondern auch wir selbst. Es ist schwer Mitgefühl, Gerechtigkeit und Frieden zu erwarten, wenn man selbst nichts dafür tut, dass diese Dinge passieren. Wenn ich kein Mitgefühl für andere zeige und sie ungerecht behandle, dann kann man nicht davon ausgehen, dass man selbst dies zurückbekommt. Man kann jedoch davon ausgehen, dass wenn man dafür sorgt, dass mehr Mitgefühl, Gerechtigkeit und Frieden herrschen, man selbst ebenfalls diese Dinge bekommt und davon profitiert. Man kann die Regel also als Klugheitsregel bezeichnen, denn wer etwas für andere tut, wie z.B. Vergebung und Hilfsbereitschaft, der tut damit auch etwas für sich selbst. Menschen sind weder gut noch böse. Da jeder eine andere Auffassung hat, was gut und erstrebenswert und was böse und falsch ist, ist jede Aussage zu diesem Thema subjektiv und kann somit nicht für die Allgemeinheit stehen. Natürlich kann ein Mensch eher zu negativen Handlungen und Verhaltensmustern tendieren, was aber nicht gleich bedeutet, dass derjenige böse ist. Oft ist es Unwissenheit oder Fahrlässigkeit bzw. auch Gleichgültigkeit über die Folgen, die ihr Handeln verursachen und wie sie geprägt worden sind, was ihr Handeln prägt.

  Es ist wichtig zuerst mit sich selbst im Reinen zu sein und sich bewusst zu machen, was unser Handeln motiviert. Wenn wir mit uns selbst im Zwiespalt sind und nicht wissen was wir wollen ist unser Selbstbewusstsein gestört was unser Handeln und Denken beeinflusst. Das führt oft zu Selbsthass, Selbstzweifel und Angst. Wenn wir uns selbst und unser Leben und wie wir es leben nicht lieben, sind die Grundsteine der Goldenen Regel nicht mehr vorhanden. Was von uns oft als Selbstliebe bezeichnet wird ist vor allem Selbstrespekt. Ohne diese Voraussetzung ist es unheimlich schwer die Goldene Regel anzuwenden, da die Achtung und Liebe zu Anderen nicht wachsen kann, wenn man sich selber hasst. Wenn man verbittert ist, ist es schwer, seine Gefühle abzugrenzen und das Glück der anderen wird zum Gift für einen selbst, weshalb die Absichten gegenüber diesen Menschen oft eher negativer und ablehnender Natur sind. Die Goldene Regel ist eine Leitrichtung für jeden Menschen, der nach ethischen Grundprinzipien leben möchte.  Das Sprichwort „Wie du mir, so ich dir“ wird oft als selbstverständlich angesehen und auch als eine Art Goldene Regel bezeichnet. Die beiden Prinzipien klingen im ersten Moment sehr ähnlich, jedoch erkennt man bei genauerem Betrachten, dass sie im Kern das Gegenteil voneinander sind. Das zweite Prinzip geht nicht darum, ob mein Handeln einen anderen verletzen könnte und mir damit ein schlechtes Gewissen macht und ich nicht möchte, dass mir das auch passiert. Sondern es geht darum, dass ich genau das gleich gebe beziehungsweise bekomme, was ich einem anderen antue oder mir angetan wird. Ich revanchiere mich also für etwas, ob das nun eine gute oder schlechte Handlung ist, ist hierbei unwichtig. Durch die Goldene Regel sollen Menschen, denen es schwerfällt, sich in andere hinein zu versetzen eine Erleichterung im ethischen Umgang mit anderen Menschen gegeben werden. Denjenigen, denen es schwerfällt, an sich selbst zu denken, ohne sich direkt schlecht zu fühlen, ist es ebenso eine Hilfe, diese Schuldgefühle zu überwinden und ihre Liebe zu anderen zum natürlichen Maßstab für ihre Selbstliebe zu machen.

In unserer Welt stehen Gewalt und Verbrechen auf der Tagesordnung. Ständig werden wir in allen möglichen Bereichen mit diesen Themen konfrontiert. Es reicht schon aus, das Radio bzw. Handynews einzuschalten und die Nachrichten zu verfolgen. Direkt hört man die Berichte zu aktuellen Kriegen und Verbrechen, die begangen werden. Kinder und Jugendliche können mit solch großen und schrecklichen Themen über Gewalt und Krieg noch nicht allzu viel anfangen, da sie meistens keinen persönlichen Bezug dazu haben. Jedoch erfahren sie in der Schule und ihrem Umfeld, wie gelogen und betrogen wird, wie die Wahrheit so hingedreht wird, dass ein Vorteil gezogen werden kann.

Aber warum fällt es uns überhaupt oft so schwer nach dem Prinzip der Goldenen Regel zu leben und die Welt dadurch zu einem besseren Ort zu machen?

Die Antwort auf diese Frage liegt in der Ungenauigkeit der Regel. So wie Kants Kategorischer Imperativ ist die goldene Regel nur ein formales Prinzip. Es gibt noch keine direkten ethischen Richtlinien, wie man sich genau zu verhalten hat. Wenn in einer Situation unklar ist, was man zu tun oder zu lassen hat, sind wir oft überfordert. Da jeder Mensch seine eigenen Prinzipien und Interessen hat, kann das Ergebnis sich, wenn sich die verschiedenen Personen auf die goldene Regel berufen, zu komplett entgegengesetzten Handlungsweisen entwickeln. Ein passendes Beispiel dafür sind Menschen, die von ihrem Charakter her keine Hilfe von anderen Menschen annehmen wollen oder können und davon ausgehen, dass es den anderen genauso geht. Was dazu führt, dass sie anderen keine Hilfe anbieten und es somit zu Missverständnissen kommen kann. Das Grundprinzip der Goldenen Regel muss durch greifbare definierte Werte ergänzt werden, damit es eine funktionierende ethische Orientierungshilfe für die Praxis gibt. Es muss ein Fundament geschaffen werden, das gewisse Werte beinhaltet, um die Regel in eine bestimmte Richtung zu begrenzen um den Geltungsbereich sinnvoll sichtbar zu machen.

200 Jahre lang, stand die Regel im Schatten von Immanuel Kant da er sie mit dem „Kategorischen Imperativ“ weitgehend ersetzt hatte. Der Kategorische Imperativ „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“, ist also ein Teil der Goldenen Regel. Er soll ähnliches bezwecken, ist jedoch in der Ausführung und Anwendung verschieden.  Wo es bei der Goldenen Regel konkret um Nächstenliebe und das Verhältnis zwischen Altruismus (Selbstlosigkeit) und Egoismus (Selbstzentriertheit) geht, geht es im Kategorischen Imperativ um das Handeln an sich und die Frage ob die Handlung als Gesetz gelten soll. Zudem geht es hierbei an erster Stelle um das eigene Wohl und bei der Regel um ein gutes Zusammenleben.

Für uns Menschen ist es immer schwer unser Ego abzulegen und auch mal über unseren Schatten zu springen, also unsere Vorteile und unseren Stolz abzulegen. Wenn wir nicht von klein auf davon geprägt sind, auf die Bedürfnisse anderer zu achten, ist es durchaus schwer, sich diese Eigenschaft der Empathie anzueignen. Somit fällt es uns je nach Erziehung, Prägung oder eigener Moral unheimlich schwer unsere Gewohnheiten und Prinzipien und unsere Moral zu verändern oder als falsch zu akzeptieren. Da jedoch eine Anwendung der Goldenen Regel nur mit der Einsicht, sich falsch verhalten zu haben, funktionieren kann, ist es für uns Menschen oft mehr theoretisches Wunschdenken als die Regel in die Tat umzusetzen. Denn ob wir wollen oder nicht, wir sind und bleiben nun einmal Menschen und Menschen haben es noch nie geschafft, absolut und vollkommen selbstlos zu sein, denn ein kleiner Teil in uns wird immer nach höherem und besseren für sich selbst streben. Es liegt in unserer Natur uns um uns und unser Überleben zu kümmern und die anderen erst an zweiter Stelle zu stellen.

Bibel

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