„An manchen Tagen denke ich, dass es besser wäre, es gäbe gar keine Religionen!“ Wer könnte einen solch provokanten Satz verfasst haben? Sicherlich niemand religiöses, oder? Falsch gedacht, dieses Zitat stammt von dem Dalai Lama. Eine Welt ohne Religionen und die Bräuche, Kulturen, aber auch Probleme, die diese geschaffen haben, ist kaum vorstellbar. Um allerdings verstehen zu können, was dieser Ausspruch bedeutet muss man den Verfasser genauer betrachten.
Der Dalai Lama ist das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Der Legende nach ist der Dalai Lama das Wesen Avalokiteshvaras. Dies ist der Bodhisattva (ein vollkommen erleuchtetes Wesen) des Mitgefühl und der Schutzpatron von Tibet. Durch Reinkarnation bleibt der Dalai Lama sozusagen langfristig auf der Erde. Der Dalai Lama übt allerdings nicht nur spirituelle Funktionen aus, sondern ist auch das Oberhaupt der tibetischen Regierung. Das Wort Dalai stammt aus dem Mongolischen und steht für Ozean (voll Weisheit) und Lama ist tibetanisch und bedeutet Lehrer.
Der aktuelle Dalai Lama trägt den Namen Tenzin Gyatso und er ist der 14. seiner Art. Aufgrund des Konfliktes zwischen China und Tibet, war der Dalai Lama 1959 gezwungen aus Tibet zu fliehen und nach Nordindien ins Exil zu gehen. Der chinesische Konflikt ist der Grund, weshalb der Dalai Lama entschieden hat, dass er wahrscheinlich vorerst der letzte seiner Art gewesen ist. Somit will er den Einfluss der chinesischen Regierung in den tibetanischen Buddhismus verhindern.
Der Friedensnobelpreisträger ist bekannt für seine Offenheit, seine Freundlichkeit und sein sympathisches Lachen. Er steht für Mitgefühl und Einsicht: „Ich kenne keine Feinde. Es gibt nur Menschen, die ich noch nicht kennengelernt habe.“ Dies bezieht sich vor allem auf die Volksrepublik China. Obwohl er aus seinem Land fliehen musste, hegt er keinen Groll gegen die chinesische Regierung, was ich sehr bewundernswert finde.
Die Grundaussage des Dalai Lama ist, dass die Menschheit zusammenhalten soll und sich als Einheit sehen, statt sich aufgrund von sekundären Merkmalen zu distanzieren und gegenseitig auszugrenzen. Nationalität, Religion, Kultur und Aussehen sind zweitrangig. Er beginnt seine Reden stets mit: „Liebe Brüder und Schwestern“, da er jeden Menschen als sein Geschwister betrachtet. Eine weltweite Einheit würde viele Missstände beseitigen, welche ausschließlich aufgrund der Überbewertung solcher Merkmale auftreten. Deshalb ist er ein absoluter Fan der Europäischen Union, da es hier geschafft wurde ehemalige Kriegsfeinde in einem Bündnis zu vereinen. Russland als Mitglied der EU wäre ein Traum für ihn. Gewaltlosigkeit, Abrüstung und das friedvolle Lösen von politischen Konflikten sind zentrale Themen für ihn. Er steht ebenso für Klimaschutz, Gleichberechtigung und er ist Atomwaffengegner. Im Westen wäre er also eher links orientiert.
Besonders wichtig ist ihm eine säkulare Ethik. Diese besteht aus Mitgefühl, Vergebung, Geduld und Friedfertigkeit. Wie der Titel verrät, stellt er diese Ethik über Religion. Mitgefühl und moralische Grundsätze sind dem Menschen angeboren, religiös wird ein Mensch erst durch äußere Einflüsse. Der Dalai Lama brachte einst diesen treffenden Vergleich:
Nach meiner Überzeugung können Menschen zwar ohne Religion auskommen, aber nicht ohne innere Werte, nicht ohne Ethik. Der Unterschied zwischen Ethik und Religion ähnelt dem Unterschied zwischen Wasser und Tee. Ethik und innere Werte […] sind eher wie Wasser. Ohne Wasser kein Leben. Der Tee, den wir trinken, besteht zum größten Teil aus Wasser, aber er enthält noch weitere Zutaten […] und das macht ihn gehaltvoller, nachhaltiger und zu etwas, dass wir jeden Tag haben möchten. Aber unabhängig davon, wie der Tee zubereitet wird: Sein Hauptbestandteil ist immer Wasser. Wir können ohne Tee leben, aber nicht ohne Wasser. Und genauso werden wir zwar ohne Religion geboren, aber nicht ohne das Grundbedürfnis nach Mitgefühl.
~ Dalai Lama
Meiner Meinung nach, vertritt der Dalai Lama äußerst interessante Ansichten. Ich finde Religionen bereichern die Vielfalt der Menschheit durch Bräuche und die Prägung von unterschiedlichen Kulturen. Allerdings haben Religionen der Menschheit auch schon viel Unglück gebracht.
Religionen sind etwas sehr persönliches und jeder sollte das glauben und ausleben, was er will, solange dabei niemandem geschadet wird. Ich finde es allerdings sehr schade, dass es so viele Mitläufer gibt. Ich frage mich des Öfteren, wie viele Menschen ihrer jetzigen Religion angehören würden, wenn alle Kinder unbeeinflusst aufwachsen würden und ihnen nach Bekanntmachung mit den unterschiedlichen Religionen die Wahl gelassen werden würde, ob sie einer Religion beitreten, bzw. welchen Glauben sie vertreten und ausleben wollen. Wie bereits erwähnt, ist Glaubensfreiheit sehr wichtig, allerdings nehmen viele Menschen Religionszugehörigkeiten als weiteres Merkmal nach dem kategorisiert werden kann. Dies führt zu Kriegen, Terroranschlägen und Ausgrenzung. Dabei ist die Religion doch ein so kleiner Teil des Daseins eines Menschen. Wir haben alle ähnliche Körper, Gehirne, Intelligenzen sowie die gleichen angeborenen Grundwerte. Ich kann mir gut vorstellen, dass in vorangegangenen Zeiten, in welchen die Bevölkerung der Erde isoliert zueinander lebte, ein engstirnigeres Weltbild hatten als viele, zumindest aus der westlichen Welt es heute vertreten. Damals war es einfach sich in physische und ideologische Unterschiede hinein zu steigern, was zahlreiche Kriege belegen. Selbst innerhalb einer Religion gibt es oft Differenzen, wie im Christentum zwischen evangelisch und katholisch. Heute leben wir allerdings in einer modernen und globalisierten Gesellschaft, in welcher meiner Meinung nach Ausgrenzung aufgrund der genannten Merkmale kein Platz mehr hat. Ich kann hier also den Appell des Dalai Lama unterstützen. Alle sollten sich in einer allgemeingültigen säkularen Ethik, Geduld und Altruismus üben. Natürlich dürfen Menschen gerne ihre Religion vertreten und ausleben, allerdings nur wenn dies nicht als Anlass gesehen wird, den Rest der Gesellschaft, der nicht eben dieser Religion angehört, herabzustufen.
Wir leben in einer Welt, die von Kapitalismus, Egoismus und sozialen Unterschieden geprägt ist. Wäre nicht eine Welt erstrebenswert in der es keine BlackLivesMatter-Bewegung geben würde, weil es niemals angezweifelt würde, dass das Leben eines Menschen etwas wert ist? Was haltet ihr von dem Thema? Stimmt ihr dem Dalai Lama zu oder findet ihr Religion wichtiger als Ethik?
Quellen:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Tenzin_Gyatso (10.07.2020)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Dalai_Lama (07.07.2020)
- https://de.wikipedia.org/wiki/Avalokiteshvara (11.07.2020)
- Franz Alt (2015). Der Appell des Dalai Lama an die Welt – Ethik ist wichtiger als Religion (15. Aufl.).Wals bei Salzburg: Red Bull Media House GmbH.
- Audiotorium Netzwerk. Öffentlicher Vortrag Globale Ethik – gemeinsame Werte S.S. der Dalai Lama spricht über sein Herzensanliegen. (2014). Frankfurt.
2 Kommentare
Kommentieren →Hallo Galanterie, ich bin selbst religiös und würde dem Dalai Lama zustimmen. Ich finde Ethik wichtiger, da sie dem Mensch die Frage nach dem Handeln stellt. Die verschiedenen Religionen geben nun Antworten auf diese Frag und ohne die Frage gäbe es überhaupt keine Antwortmöglichkeiten.
Zudem lässt Ethik den Menschen die Wahl. Die Religion gibt dem Menschen Richtlinien vor und hierbei ist es wichtig, dass der Mensch sich selbst für die Religion entschieden hat. Es bringt relativ wenig, Richtlinien zu haben, an die man sich nicht aus eigenem Willen halten möchte. Ich würde somit Menschen anderer Religion oder nicht gläubige Mensch nicht herabstufen.
Ich habe mich für die Religion entschieden, weil ich damit glücklich bin, das heißt jedoch nicht, dass andere damit glücklich werden, wenn ich ihnen meine Religion aufzwinge.
Dennoch habe auch ich schon respektlose Kommentare von nicht Gläubigen gehört, was ich im Gegenzug auch nicht gerecht finde. Jeder sollte dem anderen sein Glauben lassen, Diskussionen sind nur dann gut, wenn sich beide Seiten darauf einlassen und beide Meinungen respektiert werden.
In einer Welt wo zu viele Kinder geboren werden, ist die Leistungsdichte so hoch, das wir uns wegen Jobs die Köpfe einschlagen müssen. Das geht nicht mit Mitgefühl, denn Feuer bekämpft man mit Feuer.
Ich finde der Dalai Lama hat Recht, aber man muss sich auch verteidigen können gegen Egotypes.
Das bedeutet Kriegsführung ist von Nöten, das lernen wir auch aus Religionen.