„DIE FÄHIGKEIT UNS ZU WUNDERN, IST DAS EINZIGE, WAS WIR BRAUCHEN UM GUTE PHILOSOPHEN ZU WERDEN. ALLE KLEINEN KINDER HABEN DIESE FÄHIGKEIT, DAS IST JA WOHL KLAR“(JOSTEIN GAARDER, SOFIES WELT, S. 23)

Das ist ein Satz von Alberto Knox aus dem Buch „Sofies Welt“, geschrieben von Jostein Gaarder, der mich zum Nachdenken brachte. Das Buch erzählt die Geschichte der 14-jährigen Sofie Amundsen, die eines Tages mysteriöse Briefe erhält, in denen ihr philosophische Fragen gestellt werden. Es stellt sich schnell heraus, dass der Absender der Briefe eben jener Alberto Knox ist, von dem das obige Zitat stammt, und der ihr in Gesprächen und Briefen die Welt der Philosophie von Sokrates bis Sartre näherbringt. Das Zitat stammt gleich aus dem Anfang des Buches und motiviert den Leser, weiterzulesen und einzutauchen in eine Welt des (Hinter-) Fragens. 

Kinder. Sie werden fast nie mit Vernunft, Intellekt und vor allem Philosophie in Verbindung gebracht. Darüber, ob Kinder eine angeborene Vernunft besitzen, will ich auch nicht näher eingehen, vielmehr doch aber auf eine fehlerhafte Verknüpfung von diesen drei Ideen. Die meisten Menschen unserer Gesellschaft nehmen an, letzteres, die Philosophie könnte man erst mit den Voraussetzungen der ersteren Begriffe, Intellekt und Vernunft betreiben. Wie auch anders, in einer Geschichte der Philosophie von Menschen, die meistens alle drei Kriterien erfüllten? Doch in meiner Auffassung, wie auch der von Alberto Knox ist die Voraussetzung eine gänzlich andere: das Kindsein selber. In diesem Sinne also das Staunen und Wundern über gegebene Konstanten, die in unseren Erfahrungen verankert sind. 

Kann man nicht aber auch zum Beantworten der ganz großen Fragen der Menschheit nur über einen kleinen Intellekt verfügen? Denn was nützt einem das Wissen einer Enzyklopädie im Angesicht der Frage nach dem Sinn des Lebens? Fragen der Philosophie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht mit dem Intellekt alleine beantwortet werden können. 

Ein Philosoph, der wohl wie kein anderer den Grundgedanken des obigen Zitats beherzigte, war Sokrates. Auf der Agora, dem Marktplatz von Athen verwickelte er Menschen in ein „sokratisches Gespräch“. In diesem stellte er mit der Maieutik seinem Gegenüber gezielt Fragen zu einem Sachverhalt, um ihm zu größerer Einsicht zu verhelfen. Sokrates gilt heute als Urphilosoph und Begründer der abendländischen Philosophie. Aber kennen wir das Schema nicht von anderswo? Hat er sich nicht einfach von fragenden Kindern inspirieren lassen mit Fragen wie: „Mama/Papa, was ist denn eigentlich Tugend?“

Wenn wir auf die Welt kommen werden wir in eine für uns fremde Welt geboren. Wir wissen nichts über ihre Eigenschaften und das Verhalten von Stoffen in ihr, was uns in einen konstanten Zustand des Wunderns und Staunens führt. Es ist unausweichlich uns über die Welt zu wundern, doch dieses Wundern vergeht mit dem Altern und weicht der Gewohnheit. Wohingegen wir als Kind größte Heiterkeit gegenüber einer muhenden Kuh ausdrücken, sinkt das Staunen mit fortschreitendem Alter und wir sehen eine Kuh nur als eines unter vielen Lebewesen, dass entfernt mit uns verwandt ist. Vielleicht besteht der einzige Gedanke auch darin, dass Kühe uns am Morgen Milch geben und zu Mittag Fleisch. Wir sind an ihre Eigenschaften und an ihren Nutzen für uns gewöhnt.

Ein wichtiges Nebenprodukt des Wunders ist, so denke ich, die Dankbarkeit. Würden wir die Welt nicht als gegeben sehen, sondern ihr täglich mit neuen Augen entgegentreten, stiege auch die Dankbarkeit über unseren derzeitigen Zustand. Ja, wir leben doch tatsächlich auf dem Einen unter vielen Planeten, auf dem, neben Wasser sogar die Entstehung komplexen Lebens möglich ward! Nach Millionen von Jahren Evolution und der Entstehung einer Atmosphäre gibt es nun dich, und uns. Und wir fragen uns warum wir eigentlich da sind, was uns ausmacht und wie wir zusammenleben können. 

Wahrscheinlich ist es notwendig, sich irgendwann an die Welt zu gewöhnen, um sein Gehirn nicht mit allzu vielen Reizen zu überfluten. Dennoch bleiben einige unter uns in ihrer Herangehensweise gegenüber dem Gegebenen wie auch dem Neuen wie Kinder. Sie wundern sich immer noch über Dinge des Alltags und aus dem Wundern folgt das Fragen. Erst wundert man sich über die Vielfalt des Lebens, doch dann stellt man Fragen wie: „Was ist Leben?“, „Wie unterscheidet sich Leben“ oder „Welchen Sinn hat Leben“. Sie sind die Philosoph:innen. Es ist wahrscheinlich, dass einige dieser Fragen durch die modernen Wissenschaften geklärt werden. Leben zum Beispiel definiert man heutzutage in den Naturwissenschaften als einen Organismus, der mit seiner Umwelt Stoffwechsel betreibt und sich fortpflanzt. 

Aber an einigen Stellen kommt auch die Wissenschaft an ihre Grenzen. Ein Beispiel hierfür sind die Grundbaustoffe des Lebens. Ursprünglich ging man in der Philosophie von einem Urstoff aus, daraufhin folgte das Modell von 4 Elementen. Schließlich legte Demokrit die Bausteine für die atomare Anschauung, dass alles aus unteilbaren Einheiten, den Atomen besteht. Doch auch dieses Modell hatte keine Ewigkeitsgarantie. Man merkte einige Zeit später, dass ein Atom aus weiteren Einheiten besteht: Elektronen, Protonen und Neutronen.  Die moderne Auffassung unterteilt diese in weitere Elementarteilchen. Nun stellt sich die Frage: „Aus was bestehen diese?“

Es ist wahrscheinlicher, dass wir viele Fragen, insbesondere die elementaren Fragen des Lebens nie endgültig klären können. Wir werden verschiedenste Antwortansätze finden, die allumfassende Antwort vielleicht nie. Letztendlich bleiben nur noch die Fragen, doch das ist vielleicht das Wichtigste. Denn allein das Fragen führt zu einer Selbstreflexion und somit kommen wir uns und unserer Umwelt ein Stück näher. Diese Fragen bringen uns vielleicht nicht zur Weisheit, gelten aber als Schneise zur Orientierung in unsere Welt. Die meisten Nicht-Mehr-Kinder haben wohl ihre Orientierung für sich gefunden. Es bleibt zu hoffen, dass andere nie aufhören, neue Wege zu suchen, um die Orientierung der Menschheit in ihrem dunklen Dasein zu finden. 

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