Noch der eigene Wille?

Wir leben in einer Welt, die aus Strukturen, Regeln und Erwartungen (und noch vielem mehr) besteht und die meisten tragen zumindest in vielen Fällen dazu bei, dass wir in einer relativ friedlichen Gesellschaft leben können.

Aber die Erwartungen werden uns immer mehr aufgedrängt (Mach dies, tu das; wenn du das nicht erfüllst/erreichst, schaffst du es nicht weit und und und). Es geht aber auch nicht nur um die reinen Erwartungen, die wir laut Gesellschaft anstreben sollen, sondern auch darum, wie wir dies tun. Viele Personen der Öffentlichkeit, wie z.B. Lehrer, Arbeitgeber, etc., halten sich allerdings manchmal-oft zu sehr an die ihnen vorgeschriebenen Regeln oder handeln gar ganz streng nach ihren eigenen Prinzipien und lassen dabei eines außer Acht, dass wir alle Individuen sind. Wie können wir nämlich heutzutage noch annehmen, dass jedes Individuum allen Erwartungen gerecht werden soll? Genau das ist es ja, es ist nicht möglich. Jeder von uns ist so komplex und verschieden, sodass man wohl kaum Normen für alle setzen kann. Ist euch zudem schonmal aufgefallen, für wie selbstverständlich viele von uns jegliche Erwartungen einfach so hinnehmen? Dabei sind das nicht einmal unsere eigenen Erwartungen, sondern die anderer. Natürlich gibt es Menschen, denen es leicht fällt oder welche, die es präferieren, sich an gewisse Normen und Erwartungen zu halten, aber eben diese Erwartungen, schränken auch zu viele Personen in ihrer Freiheit, in ihrem eigenen Glauben ein. Und dass wir Freiheit beanspruchen können, das steht ja sogar im Grundgesetz (zumindest bei uns in DE). Also warum wird dagegen nichts oder noch so wenig unternommen, warum bestehen wir nicht auf unsere Freiheit uns darüber zu äußern, uns zu beschweren, mal etwas dagegen zu sagen. Denn wenn es nicht unser eigener Wille ist, den wir ausleben, wofür leben wir dann?

Leben wir nach den Erwartungen anderer? Oder zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt? Warum fällt es wohl so vielen am Anfang der Selbstständigkeit so schwer? Liegt es etwa daran, dass man bisher nur nach Regeln anderer getanzt ist oder weiß man selbst gar nicht, was man nun mit seinem eigenen Leben anfangen soll. Warum machen wohl so viele nach ihrer Schulzeit erstmal ein Jahr Pause, um einfach mal frei zu sein? Nicht die Erwartungen anderer entsprechen zu müssen? Um sich selbst aussuchen zu können, was sie jetzt machen möchten?

Wann also fangen wir anständig damit an, uns für das einzusetzen, was wir wollen, was wir können, was wir begehren, damit wir endlich frei unser Leben leben können. Denn diese Einschränkungen unserer Freiheit, die wir zulassen (wenn auch nur unterbewusst), müssen endlich ein Ende haben.

Quellen:

https://diglib.bis.uni-oldenburg.de/pub/unireden/ur82/dokument.pdf

https://www.deutschlandfunk.de/ueberforderung-des-individuums-100.html

https://www.econstor.eu/bitstream/10419/169429/1/898199549.pdf

1 Kommentar

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Liebe Chaoz,
In Deinem Blogpost erwähnst Du mehrmals die Begriffe Individuum, Freiheit und Erwartungen. Ich denke, man sollte hier die Verbindung dieser drei Grundbegriffe deines Essays mit unserem Wirtschaftssystem – dem Kapitalismus – hervorheben. Denn ist es nicht der Kapitalismus, in dem jeder als Individuum nach seinem Profit streben muss, aber gleichzeitig jeder in seinem eigenen Handeln frei ist? Der Kapitalismus ist also ein zweischneidiges Schwert: Je stärker er ausgeprägt ist, desto stärker sind auch Individualismus und Freiheit. Das ist das Prinzip des Liberalismus.

Aber je mehr das freie Individuum in den Vordergrund tritt, desto weniger Erwartungen stellt die Gesellschaft an es, da beide nun nebeneinander existieren. Die einzelnen Individuen in der Gesellschaft sind nicht mehr voneinander abhängig und es ist ihnen egal, was der andere tut, solange sie eine ökonomische Grundsicherheit (in Form des gesichtslosen Kapitals) haben.

Der Kapitalismus und der mit ihm verbundene Liberalismus existieren nun schon seit mehr als eineinhalb Jahrhunderten und haben unsere Gesellschaft dementsprechend lange geprägt. Deshalb glaube ich, dass die Erwartungen, von denen du sprichst, noch nie so niedrig waren wie heute: Während man vor einigen Jahrzehnten noch erwartete, dass man vor der Ehe keine Kinder bekommt oder dass Frauen nur im Haushalt arbeiten dürfen, gibt es solche Erwartungen heute immer weniger.

Du forderst also einen weiteren Abbau von Erwartungen? Grundsätzlich stimme ich dir zu und bin froh, dass es unserer Gesellschaft gelungen ist, die stärksten und größten Zwänge zu überwinden, die sich auf die gesamte Lebensplanung beziehen. Aber alle Erwartungen abschaffen? Auch die „kleineren“ also z.B. sich grundsätzlich höflich zu verhalten? Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Denn Erwartungen schaffen vor allem Gemeinsamkeit und damit Sicherheit. Wie du bereits im ersten Teil deines Blogs thematisiert hast, fördern sie in Form von Regeln und Strukturen auch das friedliche Zusammenleben. Keine Erwartungen hingegen sind ein Zeichen für die totale Individualisierung der Gesellschaft und damit gleichbedeutend mit der Entwurzelung des Individuums von der Gemeinschaft. Wir Menschen sind aber Gemeinschaftswesen und daher auf unser Umfeld angewiesen. Es interessiert uns, was andere von uns denken und fühlen, weil es für uns wichtig ist und uns Sicherheit gibt. Deshalb glaube ich auch, dass das Gap Year, das du angesprochen hast, kein Zeichen dafür ist, dass wir jungen Menschen nach dem Schulabschluss erst einmal den Erwartungen der Gesellschaft entfliehen müssen, sondern genau das Gegenteil: Viele nutzen das Gap Year gerade deshalb, weil die Gesellschaft keine Erwartungen an sie stellt und sie einfach nicht wissen, was sie tun sollen.

Zusammengefasst denke ich also nicht, dass jegliche Formen der Erwartungshaltung grundsätzlich das Problem sind. Ich denke nur, dass sie zum Problem werden, wenn sie zu hoch gesetzt sind und gesamte Lebensplanungen umfassen. Also z.B wenn in einer Gesellschaft vom Individuum angenommen wird, dass es unbedingt wirtschaftlich aufsteigen muss, wie du es auch in deinem Blog thematisierst:“wenn du das nicht erfüllst/erreichst, schaffst du es nicht weit“. Doch kleinere Erwartungen können Menschen auch verbinden. Und ist es nicht diese Verbundenheit, die wir in Zeiten der Individualisierung besonders brauchen?

VG Mittelscheitelmanfred

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