Ist stehlen moralisch verwerflich?

Robin Hood stiehlt von den Reichen und gibt es den Armen. Als Kinder schauten wir Filme über ihn und sahen ihn als Helden an. Gleichzeitig brachten uns unsere Eltern bei, dass wir niemals stehlen dürften, denn: Stehlen ist falsch. Wie kann es jedoch sein, dass wir in einem Moment einen Dieben zum Helden deklarieren und im nächsten einen anderen als schlechten Menschen verurteilen? Ist es moralisch von reichen Menschen zu stehlen? hängt es von dem eigenem Reichtum ab? Darf man dabei, wenn es sein muss, auch Gewalt anwenden? Für manche Menschen scheinen diese Fragen absurd und selbsterklärend zu klingen, jedoch ist das tiefere Bedenken jener Fragen angesichts der vorherig aufgezeigten Diskrepanz trotzdem durchaus berechtigt.
Um diesen Sachverhalt ethisch analysieren zu können, müssen zuallererst einige Begriffe und Konzepte geklärt und festgelegt werden. Was ist also stehlen? Simpel erklärt lässt sich Stehlen als den Akt, Eigentum eines anderen unerlaubt zu entwenden, definieren. Was aber ist Eigentum überhaupt? Und wie kommt dieser zustande? Aristoteles definierte das Eigentum als „alles das sich im Besitz einer Person oder Einrichtung befindet“. Dies mag vorerst zufriedenstellend klingen, jedoch erscheint es mir mehr wie eine Umschreibung des Grundbegriffes, als eine wirkliche Definition dessen, da sich hier erneut die Frage stellt, was denn eigentlich Besitz ist.
In der modernen Welt wird Besitz/Eigentum meist durch einen Kaufvertrag zwischen Verkäufer und Käufer übertragen; Kommt Besitz also vielleicht immer durch geschlossene Kaufverträge zustande? Hierzu lässt sich durch mehrere Beispiel erwidern: Nein, dies ist nicht immer der Fall, da ein gefundenes Gut, bei unbekanntem ursprünglichem Besitzer, wahrscheinlich von den Meisten als Besitz des Finders deklariert werden würde. Ebenfalls kann der Besitz von Gut durch das Verschenken rechtmäßig übertragen werden, was wieder zeigt, dass bei dem Zustandekommen von Besitz auch nach herkömmlicher Definition, nicht immer ein Kaufvertrag beteiligt sein muss.
Ein weiterer Aspekt, der eine Definition über Kaufverträge grundsätzlich in Frage stellt, ist, woher die Verkäufer des Guts das Recht erhalten, das zu verkaufende Gut als ihres zu bezeichnen und damit ebenfalls auch mit monetärer Gegenleistung dieses Eigentumsrecht zu übertragen. Hierzu möge man möglicherweise entgegnen: „Der Verkäufer übertrug das Eigentumsrecht des Guts an sich indem er selbst einen Kaufvertrag mit einem weiteren Verkäufer einging“. Besitz kann jedoch nicht in einer ewigen Schleife durch Kaufverträge zwischen Verkäufern und Käufern seinen Ursprung haben:
Jede Materie und damit auch jeder materielle Besitz hat seinen Ursprung irgendwo in der Natur. Wie kann es also dazu kommen, dass aus einem Material, einem Rohstoff oder einem Tier, welches in der Natur von niemanden besessen wird, plötzlich der Besitz eines Menschen wird. Anders gesagt: Was gibt dem Menschen das Recht ein von sich unabhängig entstandenes, natürliches Objekt für seinen eigenen Besitz zu erklären? Man könnte erwidern, der Prozess des Verarbeitens, beziehungsweise der Prozess eigene Arbeit an dem natürlichen Objekt zu verrichten, wie beispielsweise bei der Bewirtung von Pflanzen und der damit erzeugten Nahrung, macht das natürliche Objekt zu dem Besitz des Arbeiters. Wenn dies jedoch der Fall wäre, müsste auch anderen Tieren, wie Bienen oder Ameisen, die ebenfalls Arbeit an Natur verrichten, Besitz zugesprochen werden. Da dies jedoch aus konventioneller menschlicher Sicht nicht zutrifft und auch die anderen vorherig erwähnten Definitionen Widersprüche besitzen, ergibt sich dieser Schluss:
Menschen besitzen nicht das Recht natürliche Dinge für sich zu beanspruchen, sie tun es aber trotzdem, da ohne ein Eigentumsrecht, das seit Jahrtausenden bestehende menschengemachte System, welches von Handel und Besitztümern geprägt ist, nicht so bestehen könnte, wie es heute ist.
Hiermit lässt sich also bereits das ganze menschliche Konzept von Besitz selbst in Frage stellen, was natürlich Auswirkungen auf das Konzept des Stehlens hat, da dessen Verwerflichkeit auf der eigentlichen Selbstverständlichkeit des Eigentums-Begriffes beruht.
Trotz dieser Feststellung lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass in der modernen menschlichen Zivilisation Besitztümer existieren, welche auch enorme Auswirkungen auf das Leben eines Menschen haben. Ein Mensch der arm geboren wird, das heißt ein Mensch mit weniger Besitztümer hat so gut wie immer eine geringere Lebensqualität als ein Mensch der reich geboren wird. Hierbei kann dies sogar so weit gehen, dass durch diese Armut, falls extrem, Menschen folgendem Hungern oder möglichen Krankheiten erliegen müssen. Armut ist häufig nicht durch den betroffenen Menschen beeinflussbar; falls man beispielsweise in eine arme Familie geboren wird, welche in einem Land mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten wohnt. Gleichzeitig werden Menschen in Familien mit Multimillionen Vermögen geboren und das, obwohl ein Säugling nicht mehr geleistet haben kann als ein anderer. Diese ungerechte Verteilung von Besitztümern liegt in dem heutigen System verwurzelt. Warum also sollte ein bitterarmes, verhungerndes Kind, dass nichts für seine Umstände kann, nicht von einem verwöhnten Millionärssohn, welcher nie für seinen Reichtum gearbeitet hat, Besitz entwenden können, um sein Menschenrecht auf ausreichende Nahrung zu erlangen? Auch wenn diese provokante Frage nicht so einfach zu beantworten ist, wie es scheint, lässt sich festhalten, dass man keineswegs das arme Kind für sein Verlangen nach dem Überleben und der Einhaltung der eigenen Menschenrechte verurteilen kann. Gleichzeitig wären die meisten sich einig, dass der Millionärssohn bereits genug hat, um davon nur einen kleinen Teil zum Bestand eines anderen Menschenlebens abgeben zu können, wodurch ein Diebstahl in diesem Fall nicht wirklich als verwerflich angesehen werden kann. Jedoch weicht die Realität selbst, meist von diesem schwarz-weißen Beispielen ab und befindet sich eher in einem Grauton. Obwohl extrem viel Armut auf der Erde herrscht, sowie auch viel Reichtum, werden die meisten Diebstähle nicht von den Ärmsten an den Reichsten verübt, sondern oftmals beispielsweise von ärmeren an etwas wohlhabendere Personen, wobei dies auch abweichen kann. Ebenfalls beschränkt sich bei Diebstählen der Akt oftmals nicht nur auf das Entwenden von Besitz selber, sondern beinhaltet auch Gewalt, beziehungsweise dessen Androhung. Hierzu lässt sich sagen, dass Diebstahl zusammen mit der Verwendung von Gewalt grundsätzlich verwerflich ist. Da, auch wenn es um die Erfüllung des Bedürfnisses nach einem Menschenrecht geht, dies einem nicht das Recht gibt die Würde eines anderen zu verletzen. Gleichzeitig sollte auch nicht die bloße Diskrepanz in Wohlstand zwischen zwei Menschen, auch ohne den Einsatz von Gewalt, darüber entscheiden, ob ein Diebstahl gerechtfertigt wäre oder nicht (so wie in dem vorherig erwähntem Beispiel angedeutet): Ein Millionär sollte nicht von einem Milliardär stehlen können nur weil er weniger reich ist. Ebenfalls sollte eine sehr arme Person nicht von einer recht armen Person stehlen können, weil diese es „mehr nötig“ hätte.
Ob das Stehlen also moralisch verwerflich ist oder nicht ist extrem abhängig von der jeweiligen Situation. Das Konzept des Entwendens von Besitz selbst kann nicht verwerflich sein, da Besitz wie vorher erläutert nur ein menschengemachtes Konstrukt ist. Jedoch können die jeweiligen Umstände es zu einem moralisch verwerflichen Akt machen. Das Stehlen von Bedürftigen, sowie ein Diebstahl einer nicht bedürftigen Person sind hierbei beispielsweise grundsätzlich verwerflich, da hierbei anderen Schaden zugefügt werden kann, beziehungsweise ein Diebstahl ohne eigene Bedürftigkeit ein Akt der reinen Gier darstellt. Auch die Bedürftigkeit selbst stellt jedoch nicht gleichzeitig eine automatische Erlaubnis zum Diebstahl dar. Eine stark selbstverschuldete Armut, wie durch beispielsweise eine Verweigerung von Arbeit durch eigene Faulheit oder eine Armut, welche sich durch beispielsweise ein gutes, erhaltenes Jobangebot wieder auflösen könnte, sind Fälle in dem der Mensch sein eigenes Versagen nicht durch das Nehmen von Anderen ausgleichen können sollte.

In einer Welt ohne Armut wäre Stehlen ohne Ausnahme ein Verbrechen und moralisch verwerflich. In der jetzigen Welt, wo unschuldige Kinder hungern müssen, währenddessen andere einen schönen Tag auf ihrer Yacht genießen, ist dies leider nicht so einfach.

Wie steht ihr zu diesem Thema?

Quellen:

Aristoteles über Eigentum – Lexikon der Argumente (philosophie-wissenschaft-kontroversen.de)

2 Kommentare

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Hallo braunehosenbaron,
Das Thema „Stehlen“ im Allgemeinen wird oft diskutiert. Genau wie du es gesagt hast, steht oft die Geschichte von Robin Hood und die Erziehung von Eltern und unsere Gesellschaft, in der es uns verboten und moralisch verwerflich ist, von anderen zu stehlen, einander gegenüber. Ich finde es sehr interessant, wie du das Thema mit Besitz und nicht Besitz aufdröselst und ausgeführt hast. Allerdings verwendest du die Begriffe Besitzt und Eigentum nicht korrekt und legst darauf zu sehr deinen Fokus, statt deine Leitfrage zu beantworten. Du kritisierst vielmehr unsere Gesellschaft und dass die Schere zwischen arm und reich immer mehr auseinander geht. Darin kann ich dir zustimmen, was allerdings eine andere ethische Frage wäre.

Hallo Traeumen,
vielen Dank für die Kritik an meinem Aufsatz.
Es stimmt, dass ich mich teils auch stärker mit dem Konzept des Besitzes befasst habe, weshalb ich verstehen kann, dass dies teils als zu viel angesehen werden kann.
Jedoch war es von mir beabsichtigt diese Begriffe möglichst genau zu analysieren, da ich darauf hinaussteuern wollte, dass der Akt des Besitz-Entwendens selbst, aus meiner Sicht, nicht verwerflich sein kann, was von vielen oft als Hauptargument gegen das Stehlen verwendet wird. Möglicherweise bin ich etwas zu sehr ins Detail gegangen, jedoch ist meine weitere Argumentationsstruktur, in der ich das Stehlen rein aus der Situationsabhängigkeit ethisch analysiere und nicht weiter auf die Verwerflichkeit des Akts des Besitz-Entwendens selbst eingehen muss, ausschließlich durch die vorherig ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Besitz-Begriff möglich. Aus meiner Sicht war dies die effektivste Methode eine in sich logisch-schlüssige Argumentation zu kreieren, die zu der Beantwortung meiner Leitfrage führt, ohne hierbei Schlussfolgerungen vorzuenthalten und einfach als Fakt ohne Begründung darzustellen. Ebenfalls würde ich gerne wissen, warum du findest, dass ich die Begriffe Besitz und Eigentum nicht richtig verwendet habe. Ich sehe diese beiden Begriffe als gleichwertig an, hast du hierzu eine andere Meinung?

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