„Wer bin ich und wenn ja wieviele?“ So heißt ein berühmtes Buch des deutschen Philosophen Richard David Precht, in dem es um die persönliche und kollektive Identitätsfindung geht, allerdings nicht im klassischen Sinne, sondern viel mehr im ethischen und moralischen Sinne: Was sind unsere Werte, was macht uns aus? „Der Steppenwolf“, von Hermann Hesse, scheint das perfekte Pendant zum Werk von Precht zu sein. Hierbei geht es ebenso um eine Identitäts- und Moralfindung, jedoch bezieht sich dies mehr auf die eigene, beziehungsweise die Identität des „Steppenwolfs“ Harry Haller. Der Roman spielt in einer Zeit voll gesellschaftlicher Spannungen, in einer Zeit der Unsicherheit, welche jedoch bei weitem dramatischer und ungewisser war, als die, in der wir jetzt, im Hic et Nunc, leben. Doch was hat uns der „Steppenwolf“ in moralisch und ethischer Sicht voraus? Im Folgenden wird auf Ahrendts und Nietzsches Theorien bezüglich des „Steppenwolfs“ und des Hic et Nunc eingegangen. Der Steppenwolf, alias Harry Haller, ist eine Person, die sich ihrer Mehrspaltigkeit der Seele, zumindest vereinfacht in Mensch und Wolf, bewusst ist. Betrachtet man nun die Zeit, in welcher er spielte, beziehungsweise fiktiv lebte, so kann man dies auch als Ebenbild der Zeit sehen, in der er „lebte“. Gewisse Parallelen lassen sich auch heute noch ziehen. Man hat das Gefühl, als wäre die Gesellschaft politisch gespalten, wie je zuvor, scheinbar auch in eine wölfisch-rebellische und in eine, die dem verschlafenen deutschen Michel gleichkommt. Letztere sehnt sich nach alten, längst passé gegangenen Werten, wie man sie nur aus den absurd braven und konservativen 60ern kennt. Sinnbild hierfür ist der Professor, ein alter bekannter Hallers. Dieser ist Monarchist, und somit erzkonservativ. Sein Verhalten ähnelt dem der heutigen Rechten, wie der- meiner subjektiven Meinung nach- rechtsradikalen AfD (man siehe diverse Verharmlosungen der Nazizeit und etwaige abwertende Aussagen bezüglich Andersdenkende und Menschen, die ihrer veralteten und absurden Ansicht nicht entsprechen). Dem Ahrendt’schen Sinne der „Banalität des Bösen“ entsprechend, relativiert dieser was geschehen ist, und das derjenige, der sich gegen seine Meinung stellt, aus seiner Sicht, ein Verräter. Die „Banalität des Bösen“ ist der Professor höchst persönlich, da er nun mehr zum Schreibtischtäter wird, der seine Kolumnen in Zeitungen veröffentlicht und seine Meinung höchstwahrscheinlich den Studenten infiltriert. Erstaunlicherweise lässt sich der Charakter des Professors, genauer seine Rolle auf die heutige Zeit projizieren. Man betrachte einmal die „Feldfrevel“ der Querdenkerszene, welche sich durch ihre seltsam schrägen Verschwörungstheorien, als „geistige“ Führer der verwirrten Rasselbande kennzeichnen lassen. Sie sind die banalen Bösen, welche im realen Leben an der bürgerlichen Welt teilnehmen und auf dem ersten Blick als „normal“ und nicht als tatsächlich konfuse „Verschwörungschwadrolanten“ erkennbar sind. Die Frage nach Identität lässt sich somit als heuchlerisch abstempeln. Der Professor, der vorgibt der richtige, nein, der wahre Bürger zu sein, ist tatsächlich die größte Gefahr, die eine Demokratie, oder eine freiheitlich moderne Gesellschaft konfrontieren kann. Heuchlerisch: Er ist nicht das, was er vorgibt zu sein, so wie etliche von den bereits genannten „Fuß- und Schreibtischsoldaten“ der „Querdenker“. Derweil lassen sich auch Nietzsches Thesen und Theorien auf den Steppenwolf und möglicherweise auf das Hic et Nunc projizieren. Versuchen wir es mit der Vision des Übermenschen. Der Mensch ist in seinem Moralkäfig gefangen und bringt sich darin selbst um, da er die Gitter der Moral nicht überwinden kann. Somit benötigt er Hilfe eines Übermenschen, der dieses Konstrukt des Moralkäfigs überwunden hat, und somit eine neue, eventuell äquivalent zur Zeit in der man lebt angepassten Moral. Hermine, eine Prostituierte, die dem gängigen Klischee einer Prostituierten nicht zu entsprechen vermag, entspricht dem Übermenschen. Sie ist frei von den Zwängen der bürgerlichen, alten, konservativen Gesellschaft, von der längst überholten morbiden Moral der alten Köpfe der damaligen Zeit. Mehr, sie hat sich gar von ihren eigenen moralischen Zwängen befreit, und lebt mehr nach ihrem inneren Gefühl. Haller hingegen, der zu ihrem Sklaven auf der Suche nach Befreiung aus seinem moralischen Käfig mutiert, geht an seiner eigenen Moral beinahe zugrunde, wie es etliche Selbstmordgedanken verdeutlichen. Er selbst ist auf die Hilfe von Hermine angewiesen, um sich selbst zu überwinden. Jedoch verlässt er sich zunächst nur auf Hermine. Im „Magischen Theater“ fängt er an, nach dem nihilistischen Gedanken, seine Moral selbst in die Hand zu nehmen, und bringt Hermine, den Übermenschen, den Gott, um. So heißt es auch zum Schluss, dass Humor die beste Schule sei, und das Haller noch den Galgenhumor autodidakt erlernen muss. Die Entwicklung Harry Hallers lässt sich auf die moderne Gesellschaft übertragen. Der Steppenwolf entspricht im weitesten Sinne der Gesellschaft im Hic et Nunc. Sie löst sich von der alten Moral der konservativen Generationen der 50er, 60er, 70er usw. (Die 68er ausgenommen), und versucht sich, durch die Diversität der Gesellschaft eine neue Moral aufzubauen. Eine Moral der der kollektiven Akzeptanz. Jedoch werden die führenden Persönlichkeiten, wie führende Feministen, der kollektiven Akzeptanz, des kollektiven Feminismus weichen, da die Gesellschaft ihre neuen Werte selbst konzipiert und vorher die mit „Gott“ gleichzusetzenden führenden Persönlichkeiten umbringen muss. Ob dies in Form des magischen Theaters geschieht ist zu bezweifeln, jedoch erscheint mir die Idee dahinter als sehr vertrauenswürdig. Abschließend gilt es auf die eingangs erwähnte Fragestellung zurückzukommen. Ist uns der Steppenwolf wirklich so weit voraus? Die Antwort scheint kühn, ist aber klar und deutlich: JA! Der Steppenwolf ist ein nach wie vor hoch aktueller Roman. Werte, und die Entwicklung dieser lassen sich durch ihn verstehen und veranschaulichen. Die Gesellschaft muss nur aufpassen, dem moralischen Tod aus dem Weg zu gehen. Welcher dieser sein wird: unklar. Ebenso, lässt sich Ahrendt’sches erkennen. Die „Banalität des Bösen“ scheint im „Steppenwolf“ sowie als auch in der heutigen Welt erkennen, beispielsweise in Form der Coronaleugner und „Querdenker“. Es gilt uns dessen bewusst zu werden und unsere Moral zu hinterfragen um damit anfangen zu können, eine neue bessere Welt aufzubauen, in der wir eine Moral der Antidiskrimminierung hegen und pflegen. Lasst uns, liebste*r Leser*inn, morgen damit anfangen!
Quellen:
- AB „Friedrich Nietzsche- Ethik der Selbstbestimmung“ Die Vision des Übermenschen
- AB „Nihilismus =Entwertung der vorhandenen Werte“
- Hermann Hesse (Suhrkamp BasisBibliothek, 2018) „Der Steppenwolf“(14. Auflage) Frankfurt am Main (S.90-110)
- Hermann Hesse (Suhrkamp BasisBibliothek, 2018) „Der Steppenwolf“(14. Auflage) Frankfurt am Main (S.200-242)
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